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Full text of "Programm der Kommunisten (Bolschewiki)"

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KOMMUNISTISCHE B1BLIOTHEK NR. 5 

N.gUCHARIN 

PROGRAMM 

DER 

KOMMUNISTEN 

(BOLSCHEWIKI) 



6 244954 



Einzige autorisierte Obersetzung aus 
dem Russischen mit Vorwort des 
Verfassers zur Ungarischen Ausgabe 



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FRANKE' 3 VERLAG IN LEIPZIG 



35"2223 



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Vorworf 
desVerfassers zur ungarischen Ausgabe. 

Diese Broschiire entwirft das Programm unserer 
Partei. Nicht fiir Liferalen und sogenannte Iniellekluelle, 
sondern fiir einfache Arbeiler und fiir Dorfproletarier ist 
diese Schrift verfafji worden. Es isi dies zugleich der 
erste Versuch, die Erfahrungen der prolelarischen Re- 
volution derart zu verarbeiien, dafj jeder einzelne Ar- 
beiler jene neuen Aufgaben, welche jefel auf die Schullern 
des Proletariats fallen, klar erkennen kann. Diese Auf- 
gaben sind in Wahrheit neue, so wie die Epoche neu 
ist, die sie uns gestellt hat. An Stelle des fiir das all- 
gemeine Wahlrecht gefiihrten Kampfes schliefcen wir die 
gesamte Bourgeoisie vom Wahlrechte aus. An Stelle 
des Kampfes fiir die „Demokratie" verkiinden wir die 
Klassendiklatur des Proletariats. Statt 
kleiner Reformen stellen wir die ganze bisherige kapi- 
talistisdie Wirfschaftsordnung auf den Kopf. 

Die Erlaulerung dieser Magnahmen, der Einwande 
unserer Gegner gegeniiber diesen Magnahmen, die 
Wertung der gesamten Taisadien des aufsteigenden 
Sozialismus auf seinem Wege zum Kommunismus — 
dies ist der Zweck dieser Broschiire. 

Fiir die west- und miiteleuropaischen Genossen 
ware da noch elwas hinzuzufiigen: Diese Broschiire enf- 



halt Sas Programm des siegreichen Proletariats, 
ist fur die der Revolution folgenden Tage be- 
stimmt. Es ist selbstverstandlich, dak man die Ziele der 
Revolution noch vor der Revolution kennen lernen mu£. 
Allein flir das wesleuropaische wie fur das mitteleuro- 
paische Proletariat ist es audi wichlig, die Modalilaten 
des Kampfes gegen den biirgerlichen Staat zu 
kennen. Das darauf beziigliche Kapitel, das aus der Er- 
laulerung zweier Begriffe — des Generalstreiks und des 
bewaffneten Aufstandes - besieht, ist in dieser Bro- 
schiire nicht enthalten. Mit umso grokerem Nachdruck 
mu& ich aber hier auf diese zwei Forderungen vei- 
weisen. Denn nun ist der Aufstand des westeuro- 
paischen Proletariats an der Reihe. Der Generalsireik 
und der Aufstand, die proletarische Diktatur, die soziale 
Raierepublik mit dem Motto der i n t e r n M i o n a 1 e n 
Raierepublik, die nach jeder Richiung gehende Unter- 
druckung der Unterdriicker — dies ist jekf Eure Tages- 
arbeit, Genossen. 

Gerade jekt, da ich diese Zeilen schreibe, ist unsere 
oioke russisehe Kommune von alien Seiien umstellt, 
von alien Seiten von den imperialisiischen Menschen- 
fressern fodlich bedroht. Lassen Sie nicht zu, Genossen, 
dag die erste sozialislische Republik von Euren kapi- 
talistischen Banditen erwurgi werde. Erhebt Euch gegen 
die Diktatur des Finanzkapiials, flir die Diktatur des 
Proletariates! Wir warten auf Euch. Pochenden Her- 
zens begriiBen wir einen jeden bei Euch ausgebrochenen 
Streik, jede Militarrevolte. Wir wissen sehr wohl: unser 
Programm wird auch das Eure sein. Denn es ist nicht 
nur das Programm des russischen Proletariats, es ist 
das Programm des Weltproletariats. 

M o s k a 11 . 9. Auaust 1918. 

Nicolai Bucharin. 




Vorbemerkung. 

Die vorliegende Schrifi des Genossen B u c h a r i n 
wurde noch vor Abschlufj des Friedens von Bresl-Litowsk 
verfa&t. Sie ist inzwischen in eine Reihe anderer euro- 
paischer Sprachen verfaijr worden. 

Die vorliegende Uebersefeung der Schrifi ist die ein- 
zig autorisierie. Die im Verlag von A. Hoffmann, Berlin, 
erschienene Uebersefeung enfbehrt der Automation von 
Seiten des Verfassers — die einzuholen nicht einmal ver- 
sucht wurde. 

Der Herausgeber. 












Inhalt: 

I. Herrschaft des Kapiials, die Arbeiterklasse und 
die Dorfarmut 1 

II Raubkriege, Unterdriickung der Arbeiierklasse 
und beginnender Uniergang des Kapitalismus . 6 

III. Allgerneine Teilung oder genossenschaftlicli- 
kommunisiische Produkiion? 11 

IV. Anarchistische oder kommunistische Gesell- 
schafisordnung? . 17 

V. Durch die Dikiatur des Proletariats zum 
Kommunismus! - 22 

VI. Arbeiierrat-Regierung oder burgerliche Repu- 
blik? 29 

VII. Freiheiten fiir die Arbeiterklasse und die arme 
Bauernschaft, Ziigel fiir die Bourgeoisie (Wort- 
freiheit, Pressefreiheit, Koalitions- und Versamm- 
lungsfreiheit in der Ra'terepubliW 38 

VIII. Die Banken — Gemeinbesih der Arbeitenden! 
(Sozialisierung der Banken) 46 

IX. Die Grogindusirie — der Arbeiterklasse! (So- 
zialisierung der Industrie) 51 

X. Gesellschafiliche Bearbeiiung des nationalen 
Bodens • • 58 

XI. Die Verwaltung der Industrie durch -die Arbeiter 64 

XII. Brot nur den Arbeitenden! (Die Arbeitspflicht 

der Reichen) • 70 

• XIII. Richtige Verieilung der Produkie, Vernichtung 
des Handelgewinns und der Spekulaiion; Kon- 

sumkommunen • ■ 76 

XIV. Die Arbeitsdisziplin der Arbeiierklasse und der 
armen Bauern 83 



XV. Das Ertde der Geldherrschaft („Staatsfirianzen" 

in der Raierepublik und Geldwirischaft) .... 87 

XVI. Keine Handelsbeziehungen zu dem imperia- 
listischen Ausland fiir die russischen Bourgeois! 
(Naiionalisierung des Augenhandels) 93 

XVII. Neben der wirischafilichen die geisiige Be- 
freiung! (Kirche und Schule in der Raterepublik) 97 

XVIII. Das Volk unter Waffen bewacht seine Er- 
oberungen (Die Armee in der Sowjetrepublik) . 107 

XIX. Die Befreiung der Vblker (Naiionale Frage und 
Internationale Politik) . 117 

Schlufi (Warum nennen wir uns Kommunisten?) . 123 



v . 



« 



Herrschafi des Kapiials, die Arbeiterklasse und die 
Dorfarmut. 



In alien Landern mit Ausnahme von Rutland nach 
der Novemberrevolulion, und vor dem November 1917 
auch in Rufcland, regierl das Kapital. Welches Land 
wir auch nehmen wollten — das halb-autokraiische 
Preufcen, oder das republikanische Frankreich oder das 
sogenannte demokratische Amerika — iiberall hat das 
Groftkapital die Macht in seinen Handen. Eine kleine 
Handvoll von Menschen — die groken und grofcien Ban- 
kiers, Gulsbesiker und Fabrikanten — halt Millionen und 
aber Millionen von Arbeitern und armen Landarbeitern 
in Unterjochung und Sklaverei, zwingt sie zu arbeiten 
und zu schuften und schmeikt sie auf das Pflaster, so- 
bald sie unbrauchbar geworden sind, sobald sie aus- 
gearbeitei, ausgenufet sind und dem Gebieter Kapital 
keinen Profit mehr bringen konnen. 

Diese ungeheure Macht iiber Millionen werktatiger 
Vlenschen verleiht den Bankiers und Fabrikanten ihr 
Reichtum. Warum muk der arme Teufel, der aufs 
Pflaster gesefet worden ist, verhungern? Darum, weil er 
nichts besibt aufjer seinen beiden Handen und den bei- 
den Fiiken, die er an den Kapitalisten verkaufen kann, 
wenn dieser Kapitalisf sie brauchen will. Warum kann 
der Reiche und der Bankier oder der Industrielle, ohne 
zu arbeiten, seinem Vergniigen leben, seinen Gewinn 
einstecken und taglieh, stiindlich, miniitlich Profit hau- 



fen? Darum, weil er nicht allein zwei Hande und Flifje 
besiJsi, sondern audi dieProdukiionsmittel, ohne die man 
heutzutage nicht arbeiien kann: die Fabriken, die Ma- 
schinen, die Eisenbahnen, die Bergwerke, den Grund 
und Boden, die Schiffe und Dampfer, alle moglichen Ap- 
paraie und die verschiedenartigsten Instrumenie. Dieser 
von Menschen angehaufte Reichtum gehorl in der gan- 
zen Welt, mit Ausnahme des heutigen Rutland, ledig- 
lich den Kapitalisten und Gutsbesibern, die ebenfalls 
Kapitalisten geworden sind. Bei einer solchen Lage der 
Dinge kann es nicht Wunder nehmen, da& eine kleine 
Handvoll Menschen, die alles Noiige, die allernotwen- 
digsten Dinge in ihren Handen hat, alle iibrigen Men- 
schen, die nichts besihen, beherrscht. Ein armer Teufel 
kommt vom Lande in die Stadt und geht Arbeit suchen. 
Zu wem geht er? Zu dem Uniernehmer. Zu einem, der 
eine Fabrik oder eine Werkstatt sein eigen nenni. Da 
hat es der Unternehmer in seiner Macht, mit dem Mann 
zu machen, was er will. Wenn seine treuen Diener, die 
Direktoren und Rechenmeister, nun ausgerechnet haben, 
daft man aus neu angestellten Arbeitern mit mehr 
Nuhen Geld herauspressen kann, als aus den alten 
allein, so „gibt er ihm Arbeit", sonsi weist er ihm die 
Tiir. Der Kapitalist ist auf seiner Fabrik der Konig und 
der Gott. Alle gehorchen ihm und folgen seinen Be- 
fehlen. Auf sein Geheifj wird die Fabrik erweitert oder 
eingeschrankt. Auf seine Anordnung hin geschieht mit 
Hilfe der Meister und der Verwaltung die Auszahlung 
und die Einstellung und Entlassung der Arbeiter. Er be- 
stimmi, wie lange die Arbeiter zu arbeiten haben und 
welchen Lohn sie beanspruchen diirfen. Und all das ge- 
schieht deshalb so, weil die Fabrik „s e i n e" Fabrik ist. 
weil die Werkstatt seine Werkstatt ist, ihm gehort, sein 
Privateigentum ist. Eben dieses Privat- 
eigenxum derProduktionsmitiel ist auch 



dieUrsachejenerungeheurenMacht.iiber 
die das Kapital verfiigi. 

Dasselbe isl audi mit dem Grund und Boden der 
Fall. Beirachten wir ein angeblich so freies und demo- 
kratisches Land wie die Vereinigten Staaten von Ame- 
rika, von denen uns die Bourgeoisie die Ohren voli- 
geredet hal. Tausende von Arbeifern bestellen dort 
fremdes Land, das Land der schwerreichen Grund- 
besiber. Alles geschieht hier genau so wie in eincr Rie- 
senfabrik: Dubende und Hunderte eleklrisch betriebener 
Pfliige, Mahmaschinen, Schniltmaschinen^ Garbenbind- 
maschinen — und mil ihnen schuften von morgens frlih 
bis abends spat Lohn-Sklaven. Und genau so wie in 
der Fabrik arbeiten sie auch hier nichl fiir sich selbsl, 
sondern fiir den Unternehmer. Denn der Grund und Bo- 
den selbsl, sowohl die Aussaal und die Masehinen, kurz, . 
alles aufjer den Arbeitshanden, isl Privateigen- 
tumdesKapitalislen und Unternehmer s. 
Hier ist er Selbstbeherrscher. Er befiehli und leitet das 
Ganze so, dajj er moglichsi viel Schweifj und Blut in klin- 
gende Miinze verwandelt. fhm gehorcht man, wenn auch 
manchmal mit Murren, aber man prefti sich immer weiter 
Geld fiir den Unternehmer aus, denn er besifet alles, 
wahrend der Arbeiter und der Dorfarme nichts haben. 

Es kommt audi manchmal vor, daft der Grundbesi^er 
keine Arbeiter dingt, sondern sein Land verpachiet. In 
Rutland z. B. waren die armen Bauern mit kleinen Par- 
zellen, auf denen hochstens ein Huhn Fuller suchen 
konnte, gezwungen, Land vom Gutsbesiber zu pachten. 
Sie bestellten dieses Land mit eigenem Pferd, eigenem 
Pflug und eigener Egge. Aber audi da wurden sie un- 
barmherzig ausgebeutet. Je mehr der Bauer des Landes 
bedurfte, umso hoheren Pachtzins guetschte der Guts- 
besiber heraus und unterjochte geradezu die armen 
Bauern. Weshalb konnte er das tun? Deshalb, vveil das 

»* 3 



Land damals s e i n , des Gutsbesihers, Land war; des- 
halb, weil das Land das Privaleigentum der 
Grundbesiherklasse war. 

Die kapilalisiische Gesellschafi kann in zwei Lager 
eingeteilt werden: in das Lager derjenigen, die viel ar- 
beiten und wenig und schlecht essen, und jener, die 
wenig oder gar nicht arbeiten, dafiir aber viel und gut 
essen. Es geht nichi ganz nach der Schrift, wo es heiftt: 
„Wer nidit arbeitef, der soil audi nicht essen." Dieser 
Umstand hindert jedoch die Pfaffen alter Religionen und 
Sprachen nicht, die kapitalistische Ordnung zu preisen: 
erhalten ja die" Pfaffen liberall (auger in der russischen 
Raferepublik) von Amts wegen Gehalf durch das Kapital. 

Nun entsteht eine zweite Frage: Wie kommt es, daft 
ein Haufen Schmaroher alle notwendigen Produktions- 
mittel als sein Privateigentum b e h a 1 1 e n kann? Wie 
kommt es, daft dieses Privateigentum der schma- 
roftenden Klassen bis iefet besteht? Was ist die Ursache 
davon? 

Diese Ursache liegt darin, daft die Feinde des werk- 
fatigen Volkes aufs Ausgezeichneiste organisiert 
sind. Heutzufage gibt es kein einziges kapifalistisches 
Land, in dem jeder der Kapiiaiisten vereinzelt wirkte. 
1m Gegenteil, jeder von ihnen ist unbedingt Mitglied von 
wirtschaftlichen Organisationen. Und diese wirtschaft- 
lichen Verbande haben eben alles in ihren Handen; sie 
haben Zehntausende ihrer treuen Agenten, die ihnen 
bis auf Leben und Tod ergeben sind. Das ganze 
wirtschaftliche Leben jedes kapitalistischen Landes 
befindet sich vollkommen in der Macht der spe- 
ziellen wirtschaftlichen Organisationen: der Syndikate, 
Trusts und groften Bankverbande. Diese Verbande be- 
herrschen alles und' verfiigen iiber alles. 

Der allerwichfigsie Unternehmerverband ist jedoch 
der bii r ger J i che Staat. Diese wirtschaftliche Or- 
A 



ganisation halt in ihren Handen alle Faden der Verwal- 
tung und der Machi. Da ist alles erwogen und berech- 
net, alles wohlbedacht und so eingerichtet, da| beim 
ersten Versuch von Seiten der .arbeitenden Klasse, sich 
gegen die Herrschafi des Kapiials aufzulehnen, dieser 
Versuch sofort im Keime unterdriickt wird. Dem Staat 
steht alles zur Verfiigung, sowohl die grobe materielle 
Maeht (Spione, Polizisten, Gerichte, Henker, gedrillte 
und seelenlos gewordene Soldaten) wie aueh die gei- 
stige Macht, die unversehens die'Arbeifer und die armen 
Leute moralisch verkommen lafjt, indem sie ihnen falsche 
Begriffe einfldkt. Zu diesenv Zweck hat der burgerliche 
Staat die Sehule und die Kirche, zu denen noch die ka- 
pitalistische Presse hinzukommt. Bekanatlich versiehen 
Schweineziichter solche Schweine zu ziichten, die sich 
vor allzu groger Fettmenge kaum bewegen konnen, da- 
fiir aber ein ausgezeichnetes Schlachtvieh liefern. 
Solche Schweine werden kiinstlich aufgepappelt, denn 
sie bekommen Tag ein Tag aus ein besonderes Futter, 
durch das sie Fett anseljen. Genau so verfahri die Bour- 
geoisie mit der arbeitenden Klasse. Richtiges Futter 
gibt sie freilich hur sehr wenig — zum Fettwerden kaum. 
Dafiir aber bietet sie Tag ein Tag aus der arbeitenden 
Klasse eine besondere g e i s t i g e Nahrung, von der ihr 
G e h i r n verfettet wird und zu funkiionieren aufhoi t. 
Die Bourgeoisie strebt darnach, die arbeitende Klasse 
in eine Schweineherde zu verwandein, die gefiigig und 
Zum Abschlachten gut ist, die nicht raisonniert und be- 
standig gehorcht. Daher floBt die Bourgeoisie durch die 
Sehule utid die Kirche schon den Kindern den Gedankeii 
ein, man miisse der Obrigkeit gehorchen, da sie von 
Gott eingesefei sei; einzig und allein die Bolschewiki 
wurden in unserer Zeit, an Stelle von Gebeten, des Kir- 
chenbanns gewiirdigt, denn sie lehnten es ab, den 
Kutten tragenden Betrligern Staatsgehalt zu zahlen. 

5 



D-eshalb eben ist die Bourgeoisie bemiiht, auch ihre 
Liigenpresse moglichsi zu verbreiten. 

Die riochstorganisieriheii der biirgerlichen 
Klasse gibt ihr die Moglichkeii, das Privaieigentum 
weiter beizubehalien. Millionare sind sehr rar, aber um 
diese herum sehen wir eine tuchiige Anzahl treuer, er- 
gebener und gldnzend bezahlter Diener: Minister, Fa- 
brikdirektoren, Bankdirektoren usw.; diese lefcteren um- 
geben noch mehr Helfershelfer, die weniger gut bezahlt 
werden, aber mit Leib und Seele von ihnen abhangen 
und genau in demselben Geisie erzogen sind; diese 
reflektieren auf ebensolche Posten, wenn sie dienst- 
eifrig sind; darauf folgen die noch winzigeren Beamten 
und Agenien des Kapitals usw. In Reih und Glied fol- 
gen sie alle aufeinander, sind durch die eine und dieselbe 
Organisation des biirgerlichen Staates und anderer 
Unternehmer-Verbande mit einander verbunden. Diese 
Organisaiionen iiberziehen jedes Land wie ein Neb, in 
dem die arbeitende Klasse hilflos zappelt . . . 

Jeder kapitalisiische Siaat verwandeli sich in der 
Tat in einen ungeheuren Unternehmer- Verband. Die Ar- 
beiter arbeiten — die Unternehmer genie&en. Die Ar~ 
beiter fuhren aus — die Unternehmer befehlen. Die Ar- 
beiier werden betrogcn — di^ Uriemehmer beirii.jcM. 
pas ist eben jene Ordnung, die man die kapitalisiische 
nennt und der zu folgen uns die Herren Kapitalisten und 
ihre Diener euffordern: die Pfaffen, die Intellektuellen, 
die Menschewiki, die Sozialrevolutionare und die an- 
deren lieben Freunde der Arbeiter und Bauern. 

fl. Raubkriege, Unferdriickung der Arbeiterklasse und 
beginnender Umergang des Kapitalismus. 

In der lehten Zeit war in jedem kapitalistischen 
I.ande des Kleinkepiial fast verschwunden, die gro§en 
Haie des Gro&kapitals hatten es versclilungen. Friiher 
6 



rissen sich viele einzelne Kapitalislen urn den Absah; 
lekt, da ihrer wenige geblieben sind (denn alle kleinen 
I cute sind verkrachi), haben sich die Zuriickgeblie- 
benen vereinigt, organisiert und verfiigen iiber jedes be- 
liebige Land genau so wie fruher der Gufsbesi&er iiber 
sein Gesinde verfiigte: einige wenige amerikanische 
Bankiers beherrschen ganz Amerika, wie fruher der 
einzelne Kapitalist seine Fabrik beherrschte; ein paar 
franzdsische Wucherer haben sich das ganze franzo- 
sische Volk unierjocht; fiinf der gro&ten Banken Deutsch- 
lands verfiigen iiber das Schicksal des gesamten deui- 
schen Volkes. Dasselbe ist auch in den andern kapita- 
listischen Landern der Fall. Man kann daher sagen, 
daft die heutigen kapitalislischen Staaien oder wie man 
sie nennt „Vaterlander", sich in riesengro&e Fabriken 
verwandeli haben, die von dem Wirischafisverband be- 
herrscht werden, genau so wie fruher der einzelne Ka- 
pitalist seine einzelne Fabrik beherrschte. 

Es ist nicht verwunderlich, daft diese Verbande, die 
Staatsverbande der verschiedenen Bourgeoisien 
unter einander denselben Kampf fuhren, der fruher unter 
den einzelnen Kapitalisten gefuhrt wurde; der englische 
biirgerliche Staat kampft geniau so gegen den deut- 
schen biirgerlichen Staat wie fruher in England oder in 
Deutschland selbst der eine Fabrikant den andern be- 
kampfte. Nur ist jefet der Einsak beim Spiel tausendmal 
grbker geworden, und der Kampf urn die Vermehruna 
der Profite wird jeljt mit Hilfe von Menschenleben und 
Menschenblut gefiihrt. 

In diesem Kampf, der die ganze Erde umfajjt, gehen 
zunachst die kleinen und schwachen Lander zugrunde. 
Zuerst miissen die schwachen, rnanchmal wilden Stamme 
der Koloniallander daran glauben, die von den grojjen 
Rauberslaaien stiicitweise an sich gerissen werden. Da 
geht der Kampf urn die V er t e i 1 u n g unter den grofjen 

7 



Staaten der „freien" Gebiete, d. h. der Lander, die noch 
nidit von den „zivilisierten" Staaten eingeheimst wur- 
den. Es enisteht der Kampf um die Neuaufleilung der 
Beute. Nafiirlich muk dieser Kampf um die Teilung der 
Erde blutig und erbitieri sein wie nodi nie. Jefet fiihren 
diesen Kampf ungeheure Kdlosse, die machtigsten 
Staaten der Erde, die mit den vollkommensten Mord- 
instrumertten bewaffnet sind. 

Der Weltkrieg, der im Sommer 1914 ausge- 
brodien ist und bis heute dauert, isl der erste Krieg um 
eine entscheidende Neuteilung der Erde unter den Un- 
geheuern des „zivilisierten" Raubwesens. Der Krieg hat 
in seinen Strudel die vier wichiigsfen gigantischen 
Nebenbuhler hineingezogen: England, Deutschland, 
Amerika und japan. Und der Kampf gehi um die Frage, 
weleher dieser Raubverbande die Welt unter die Herr- 
schaft seiner blutig-eisernen Faust zwingen wird. 

Dieser Krieg hat die ohnehin schwere Lage der 
arbeitenden Klassen uberall unsagbar verschlimmert. 
Ungeheure Lasfen wurden auf die Arbeiter abgewalzt. 
Millionen der besten Arbeiter sind auf den Schlacht- 
feldern hingeschlachtet; Hunger ist das Los der Zuriick- 
gebliebenen; diejenigen, die aufzumucken wagen, 
werden mit den schlimmsten Slrafen bedroht. Alle Ge- 
fangnisse sind iiberfiillt, Polizeischergen mit Maschinen- 
gewehren stehen gegen die Arbejjerklasse bereit. Die 
Rechte der Arbeiter sind sogar in den „freiesfen" Lan- 
dern verschwunden, nicht einmal Streiken ist erlaubt, 
Streiks werden als Hochverrat bestraft. Die Arbeiter- 
presse ist unferdriickt. Die besten Arbeiter, die treuen 
Kampfer der Revolution, werden gezwungen, sich zu 
verbergen und ihre Organisationen illegal aufzurichien, 
wie wir es unter dem Zaren taten, heimlich, und den 
Scharen der Spione und Polizisten ausweichend. Was 
Wunder, dafi bei solchen Folgen des Krieges die Ar- 
& 



beiier nicht nur zu sfohnen beginnen, sondern audi sich 
gegen ihre Unterdriicker erheben. 

Aber audi die biirgerlichen Slaafen selbst, die das 
Riesengemekel begonnen haben, fangen an, morsch zu 
werden und zu zerfallen. Die biirgerlichen Siaaien 
haben sich sozusagen „verrannt". Sie versanken im blu- 
tigen Sumpf, den sie in ihrer ]agd nach Profit geschaffen 
haben, und jekt sehen sie keinen Ausweg. Zuriickgehen, 
mil leeren Handen heimkehren, nach soviel Verschwen- 
dung an Geld, Giilern und Blut, ist unmoglich. Und vor- 
warts gehen, einem neuen entseklichen Risiko entgegen, 
ist ebenfalls beinahe unmoglich. Die Politik des Krieges 
hat die Regierungen in eine Sackgasse gefiihrt, aus der 
es keinen Ausweg gibt. Deshalb geht der Krieg endlos 
weiter, wenn audi ohne jedes entscheidende Resultaf. 
Aus diesem selben Grunde beginnt die kapitalisiische 
Ordnung zu vermodern und zu zerfallen, und flirher oder 
spater rrtufc sie einer andern Ordnung Plak machen, 
einer Ordnung, bei der der Wahnsinn des Weltkrieges 
dem Profit zuliebe unmoglich ware. 

Je langer der Krieg dauert, umso mehr verarmen die 
kriegfuhrenden Lander. Die Bliite der arbeitenden 
Klasse geht entweder zugrunde, oder liegt verlausf in 
den Schukengraben und betreibt das Zerstorungswerk. 
Alles ist zum Zwecke'des Krieges vernichfet; selbst die 
Tiirklinken aus Messing sind zu Kriegszielen beschlag- 
nahmt. Alles Notwendige fehlt, denn der Krieg hat 
alles verschlungen, wie die unersatllichen Meuschrecken. 
Niemand ist da, um nuhliche Gegenstande zu erzeugen, 
— sie werden nur noch verbraucht. Es sind bald vier 
lahre, seif die Fabriken, die bis. dahin niibliche Ge- 
brauchsgegensfande erzeugten, jekt nur noch Granaten 
und Schrapnells fabrizieren. Und nun sind alle Lander 
menschenarm geworden, ohne Produktion des wirkiich 
Xotwendigen, und auf einen solchen Tiefstand herab- 

9 



gesunken, dag die Menschen vor Kalte, Hunger, Armut, 
Verkommenheii und Unierdriickung schun vie Wolfe 
heulen. In manchen Ddrfern brennt man heute den Kien- 
span, wo man friiher elekfrisches Licht halie, denn man 
hat keine Kohle. Je mehr die allgemeine Volksver- 
elendung wachst, umso mehr schlaft das Leben ein. In 
solchen wohlgeordneten Stadfen wie Berlin oder Wien 
kann man jefet nicht in der Nacht auf die Sira§e gehen; 
man wird beraubt. Die biirgerlichen deutschen Zeilungen 
iammern, man hatte nicht geniigend Polizei. Sie wollen 
nicht einsehen, daij das Wachstum des Verbrechertums 
von einer Zunahme des Elends, der Verzweiflung und 
der Verbiiterung sprfcht. Die Kriippel kehren von der 
Front zuriick und finden, da{j bei ihnen daheim der Hun- 
ger haust; die Zahl der Obdachlosen und Hungrigen 
nimmt, trok der ausgezeichneten Organisationen, immer 
mehr "zu, denn man hat nichis zu essen, — der Krieg 
aber geht weifer und weiter und fordert immej neue 
Opfer. 

Je schwieriger die Lage der ki iegfiihrenden Staaten 
wird, umso mehr Reibungen, Streitigkeiten und Zwisiig- 
keiien entstehen unter den verschiedenen Schichten der 
Bourgeoisie, den Schichten, die friiher- im Nam.en ihrer 
gemeinsamen rauberischen Ziele gemeinsam mar- 
schierfen. In Oesterreich-Ungarn geraten sich die 
Tschechen, Ruthenen, Deutschen, Polen und andere Na- 
tionalitaten in die Haare. In Deutschland ist jefet, nach 
fZinverleibung der neuen Provinzen, dieselbe Bour- 
geoisie (die esthnische, leitische, ukrainische und pol- 
nische), die die deutschen Truppen zu Hilfe rief, c-e- 
zwungen, sich mit ihren Befreiern herumzubalgen. fn 
England liegt die englische Bourgeoisie im Todeskampf 
mit der von ihr unterjochten irlandischen Bourgeoisie. 
Und mitten in diesem Wirrsal, bei der allgemeinen Zer- 
ruttung erhebf immer lauter ihre Sfimme die Arbeiter- 
10 



klasse, die durch den Gang der Geschichte berulcn 
isi, dem Krieg einEnde zu bereiten und 
das Joch des Kapiials abzusireifen. 

So reift die Zeit heran, da der Kapiialismus zer- 
brockeli und das Zeiialier der kommunisiischen Revo- 
lution der Arbeiierklasse beginnt. 

Die erste Bresche schlug die russische November- 
revolution 1917. Der Kapiialismus war in Ru&Iand friiher 
morsch geworden els in irgend einem andcren Lande, 
deshalb, weil die Last des Weltkrieges den jungen ka- 
pitalistischen Siaai dieses Landes am ehesten erdrucki 
hat. In Rutland war die biirgerliche Klasse nicht so un- 
geheuer gut organisiert wie in Deutschland, England und 
Amerika. Sie vermochie infolgedessen nidit mil den 
Forderungen, die der Krieg an sie stellle, fertig /.u 
werden, ebensowenig wie mit dem machtigen Andrang 
der russischen Arbeiierklasse und der armen Bauern- 
schafi, die in den Novembertagen die. Bourgeoisie aus 
dem Saiiel hoben und die Regierungsgewali auf die 
Partei der Arbeiierklasse — die Kommunisten-Boteche- 
wiki — uberirugen. 

Friiher oder spaier wird dasselbe Schicksal auch die 
westeuropaische Bourgeoisie trefien. Die arbei- 
tenden Klassen Wesieuropas ireien immer mehr und 
mehr in die Reihen der Kommunisien. Ueberall wachsen 
die Organisationen der einheimischen „Bolschewiki", so 
in Oesierreich und Amerika, Deutschland und Norwegen, 
Frankreich und lialien. Das Programm der kommu- 
nistischen Partei Ruglands wird zum Programm der pro- 
letarischen Welirevolution. 

ID. Allgemeine Teilung oder genossenschafilich- 
kommunisiische Produkiion? 

Wir wissen schon, da& die Wurzel alien Uebels, der 
Raubkriege, der Unierdriickung der Arbeiierklasse, aller 

11 



Oreuel des kapitalistischen Systems darin besteht, da| 
die Welt von einigen staailich organisierten biirgerlichen 
Banden unterjocht wurde, die al!e Giiter dieser Erde als 
ihr E i g e n t u m besifeen. Das Eigentum der Kapita- 
listenklasse an den Produktionsmitteln ist eben die „Ur- 
sache aller Ursachen", durch die sich die Barbarei der 
heutigen gesellschaftlichen Ordnung erklart. Den Rei- 
chen ihre Macht zu entrei|en, indem man sie gewaltsam 
ihrer Reichtiimer enteignet — das ist die allererste Auf- 
gabe, die sich die Arbeiterklasse und die Arbeiier- 
partei, die Partei der Kommunisten, stellt. 

Gewisse Menschen glauben, man miisse das den 
Reichen Abgenommene „schiedlich-friedlieh", gerecht 
und g 1 e i c h verteilen, und dann werde alles gut 
werden. Dann wiirde jedermann genau so viel besifeen 
wie der andere; alle wiirden gleich sein, und alle von 
der Ungleichheit, der Unterdriickung und der Ausbeu- 
tung befreit werden. Jedermann wiirde sich nur um die 
eigene Person zu kiimmern brauchen, da er alles bei 
der Hand haben wiirde; und dann mii&te die Macht des 
einen Menschen iiber den anderen verschwinden — 
dank dieser ausgleichenden Verteilung, der allgemeinen 
Gleichmachung und der Aufteilung der Reichtiimer unter 
die armen Leute. 

Das ist nicht die Ansichi der Kommunistenpartei. 
Diese meint, dafj eine solche gleichmachende Teilung zu 
nichts Gutem fiihren und auger einem Durcheinander 
und»einer Riickkehr ziim alten System nichts dabei ent- 
stehen wiirde. 

Und in der Tat. Erstens lassen sich ja viele Gegen- 
stande einfach gar nicht teilen. Wie, zum Beispiel, 
wollie man die Eisenbahnen teilen? Wenn der eine sich 
die Schienen, der andere die Bohlen, der dritte die 
Schrauben sich aneignen wollte, der vierte die Wagen 
demolieren wiirde um den Ofen damit einzuheizen, ein 
12 



fiinfter den Spiegel zerschlagen wollte, urn sich vor 
einem Scherben davon zu rasieren, usw. — so miikte 
ieder bald einsehen, dag eine solche Teilung weder 
gleich sei, noch zu etwas anderem fuhre, als zu einer 
blddsinnigen Pllinderung der nuklichen Gegenstande und 
einer Verniditung dessen, was noch von Nuken 
hafte-sein konnen. Ebensowenig kann man irgend eine 
Maschine teilen. Denn wiirde der eine das Getriebe, ein 
anderer die Hebel, und noch andere die iibrigen Teile 
nehmen, so mu'kte die Maschine aufhoren, Maschine zu 
sein, und alles wiirde zum Teufel gehen. Und ebenso 
verhalt es sich mit fast alien komplizierien Werkzeugen, 
die zum Weiterarbeiien am allerwichtigsten sind. Man 
braucht nur an die Telegraphen- und Telephonapparate 
zu denken, alle die Vorrichiungen in den chemischen 
Fabriken und anderes mehr. Es ist klar, daft fur eine 
solche Teilung nur ein Mensch eintrelen kann, der ent- 
weder uberhaupt nichts versteht oder geradezu ein 
Teind der Arbeiterklasse ist. # 

Doch nichl aus diesem Grunde allein ware eine 
solche Teilung schadlich. Angenommen, durch irgend 
ein Wunder wiirde es gelingen, den ganzen Ueberflug 
der Reichen unter Alle mehr oder weniger gleich zu ver- 
leilen. Audi dann wiirde lefcien Endes nichis Vernunf- 
hges daraus entsfehen. Denn was bedeulei „Teilung"? 
Teilung bedeutet, daft anstelle weniger grofier Besiker 
viele kleine getreten sind. Sie bedeutet n i ch t die 
Verniditung des Privateigentums, sondern 
seine Zersplitterung; anstelle des Grokbesikes 
wiirde Kleinbesik treten. Aber eine solche Zeit liegt 
bereits weit zuriick in der Vergangenheit. Wir wissen 
wohl, daft das kapitalistische System und das Grok- 
patital aus dem Kampfe der kleinen Unternehmer unter- 
einander entstanden sind. Wenn wir durch unsere Tei- 
lung die kleinen Eigentiimer zur Vermehrung bringen 

13 



wiirden, so ware folgendes geschehen. Eirt Teil davon 
(und ein ziemlich belrachilicher) haiie am Tage nach der 
Teitung alles Erhaliene auf irgend einem Markte sofort 
zu Geld gemachi, und ihr Eigenium ware auf diese Weise 
in die Hande der reicherenEigentiimer gelangt; unter den 
Uebriggebliebenen haiie der Kampf um den Abnehmer 
begonnen; in diesem Kampfe haiien die Vermogenderen 
die weniger Vermogenden verdrangi; die weniger Ver- 
mdgenden haiten Bankroll gemachi und sich in Prole- 
tarier verwandell, wahrend ihre gliicklichen Konkurren- 
ten ihre Reichiiimer vermehri, fremde Arbeiler ange- 
sielli und sich auf diese Weise nach und nach in ausge- 
sprochene Kapiialisten verwandell haiten. So waren 
wir in kurzer Zeil zu derselben Ordnung zuriickgekehrt, 
die wir soeben vernichlel hallen. Wir wiirden ai'*s neue 
miilen in der kapilalisiischen Raubwirt- 
s ch a f t drin sfehen. 

Die Aufleilung in Privaleigenlum (Kleinbesife) — das 
isI nichl das Ideal des Arbeiiers oder des Tagelohners. 
Das isl der Traum des kleinen Kramers, der vom Grok- 
kaufmann unierdrucki wird, der es aber selbst gern ein- 
mal zum Grofckaufmann bringen mochie. „Vorwarls~ 
kommen", selbsl mdglichsi viel einheimsen — danach 
trachlel der Kramer. An andere denken, daran, was 
aus all dem enisiehen kann — das gehi den Kramer 
nichls an, wenn nur geniigend Kleingeld in seiner Tasche 
klimpert. Er laki sich dadurch nichl schrecken, dafi alles 
wieder zum Kapilalismus zuriickkehren wiirde, denn in 
seiner Seele glimml die Hoffnung, dak gerade e r , irgend 
ein Schulze oder Miiller, dabei Kapilalisl werden kdnnle. 
Und, fragt er, isi das denn elwa schlecht? 

Ganz anders mu& die Arbeiierklasse denken, und sie 
denkt auch anders. Die Arbeiierklasse isl nur an einer 
solchen Neugeslaliung der Gesellschafi inieressierl, die 
eine Rlickkehr zum Kapilalismus unmdglich macht. Bei 
14 



der Teilung ist es so: man jagl den Kapitaiismus zur 
Vordertlir hinaus, und bald darauf schllipfl er durch die 
Hiniertiir wieder herein. Der einzige Ausweg ist aber 
die arbeitsgenossenschaflliche Ckommu- 
nistische) Ordnung. 

Bei der kommunisiischen Gesellschaftsordnung ge- 
horen alle Giiter nicht den einzelnen Personen und nicht 
den einzelnen Klassen, sondern der gesamten Gesell- 
schaft. Da ist die ganze Gesellschaft wie eine einzige, 
ungeheuer groke Arbeitsgenossenschaft. Einen Herrn 
gibt es dabei nicht. Alle sind gleiehe Kameraden unter- 
einander. Es gibt auch keine Klassen mehr: weder 
Kapitalisten, die Arbeiter anstellen, noch Arbeiter, die 
sich von den Kapitalisten anstellen lassen. Alle ar- 
beiten gemeinschafillich, nach festgesiellten und genau 
berechnetem Arbeitsplan. Das zentrale statistische Bu- 
reau rechnet aus, dak man im Jahr so und so viel Siefel, 
Hosen, Schinken, Wichse, Weizen, Leinwand usw. 
braucht; ferner berechnet es, dak zu diesem Zweck auf 
den Aeckern diese und diese Anzahl von Genossen ar- 
beften muk, in den Schweinemekgereien so und so viel 
Genossen, in den groken offentlichen Schneiderwerk- 
statten so und so viel — und dementsprechend werden 
die Arbeitshande verteilt. Die gesamte Produktion wird 
nach einem streng erwogenen, genau testgestellten 
Plan geleitet, auf Grund einer genauen Berechnung aller 
Maschinen und Werkzeuge, aller Rohstoffe und aller 
Arbeitskrafte der Gesellschaft. Genau so werden auch 
die jahrlichen Bediirfnisse der Gesellschaft berechnet. 
Die erzeugten Produkte werden in offentlichen Maga- 
zinen aufgespeichert und von da aus unter die Genos- 
sen, die Arbeiter, verteilt. Gearbeiiet wird nur in den 
allergrokien Fabriken mit den allerbesten Maschinen, 
da diese Arbeitskraft sparen. Die Leitung der Produk- 
tion isi die denkbar sparsamsie; alle iiberflussigen Aus- 

15 



gaben werden vermieden, und damit dies der Fall sein 
kann, hat man eben den einheitlichen Plan der ge- 
samien Produktion. Da kommf es nicht vor, dak an 
dem einen Orie die Sache auf diese Weise, an einem 
andern Orie auf eine andere Weise hergestellt wird; 
dak man an dem einen Orte nicht weifj, was an dem 
andern geschieht. Da ist, im Gegenteil, fast die ganze 
Welt genau erwogen und .berechnet; Baumwolle wird 
nur dorf gepflanzt, wo dazu der geeignetste Boden vor- 
handen ist; die Kohlengewinnung geschieht nur in den 
ertragreichsten Bergwerken; die Hochbfen werden nur in 
der Nahe der Kohlenbecken und der Erzbergwerke er- 
richtet; wo der Boden Weizen tragi, dort wird er nicht 
mit Mietskasernen bebaut, sondern bestellt. Kurz, alles 
ist so eingerichiet, dak fur jede Produktion der beste 
Plafe ausgesucht wird, damit die Arbeit am besten von- 
statten gent, alles am leichtesten zu bekommen ist und 
die Arbeit des Menschen am ergiebigsten wird. All das 
kann nur ermdglicht und erreicht werden, wenn der 
Arbeitsplan ein einheitlicher ist, wenn die gesamte Ge- 
sellschaft zu ydmer einzigen, riesengrofjen Arbeitsge- 
meinde oder -Genossenschaft zusammengefafci ist. 

Bei dieser kommunistischen Gesellschafts- 
ordnung stken die Menschen einander nicht auf dem 
Nacken. Da kennt man keine Reichen und Emporkomm- 
linge, keine Vorgesekien und Untergebenen; d.awird die 
Gesellschaft nicht in Klassen eingefeilt, von denen die 
eine liber die andere regiert. Und gibt es einmal keine 
Klassen mehr, so heiftt das, dafi es auch keine verschie- 
denen Sorfen von Menschen gibt (arme und reiche), die 
gegeneinander die Zahne flelschen. Da hort infolge- 
dessen auch eine solche Organisation wie der Staat auf. 
denn es gibt ja keine herrschenden Klassen mehr, die 
einer besonderen Organisation bedurften, um ihre 
Klassengegner im Zaume zu halien. So fa Hi audi die 
16 



Verwaltung der Menschen und die Gewalt des Menschen 
iiber den Menschen weg; es bleibt nur noch eine Verwal- 
tung der Dinge und der Maschinen und die Gewalt der 
menschlichen Gesellschaft iiber die Natur. Das mensch- 
liche Geschlecht ist nicht mehr in verschiedene, feindliche 
Lager geteilt; (lurch gemefnsame Arbeit und gemein- 
samen Kampf gegen die aufteren Naturkraite ist es ge- 
einigt. Die Grenzpfahle sind geschleift. Die einzelnen 
Vaterlander sind aufgehoben. Die ganze Menschheit 
ohne Unterschied der Nation ist in alien ihren Teilen an- 
einander gebunden und zu einem gemeinsamen Ganzen 
organisieri. Alle Volker bilden ein einziges, groftes fried- 
sames Arbeitsgeschlecht. 

IV. Anarchislische oder kommunistische Gesellschafts- 

ordnung? 

Es gibt Leute, die sich Anarchisten, d. H. Anhanger 
der Regierungslosigkeit, nennen. Diese behaupten, daft 
die Bolschewiki-Kommunisten einen falschen Weg ein- 
schlagen, daft sie die Machi beibehalien wollen, wahrend 
jede Macht und jeder Staat Unierdriickung und Gewalt 
bedeute. Wir haben aber gesehen, daft eine solche Auf- 
fassung .des Kommunismus falsch ist. Die kommu- 
nistische Lebensordnung ist eine solche Ordnung, bei der 
es weder Arbeiter, noch Kapitalisten, bei der es gar kei- 
nen Staat gibt. Aber audi nicht darin besteht der Unter- 
schied zwischen dem anarchistischen System und dem 
kommunistischen, daft bei dem einen der Staat besteht, 
und bei dem andern nicht; der Staat ist eigentlich weder 
hier noch dort vorhanden. Der wirkliche Unterschied be- 
steht aber in folgendem: 

Die Anarchisten glauben, daft die Menschen es dann 
am allerbesten, am freiesten haben werden, wenn sie 
die ganze Produktion in winzige Arbeitsgemeinden oder 

• 17 



Kommunen zerschlagen haben werden. Eine Oruppe 
kommt zusammen, es entsiehi eine Arbeitsgenossenschaft 
von etwa 10 Mann nach freiwilliger Uebereinkunfi, — 
schon! f)iese 10 Mann fangen nun auf ihr eigenes Risiko 
zu arbeiten an. An einem andern Orte isl eine andere 
solche Genossenschaff enislanden, an einem dritlen — 
eine dritte. Und dann ireten diese Genossenschafien mil 
einander in Verhandlungen und Abmachungen ein, der 
einen fehlt dieses, der anderen jenes. Nach und nach ver- 
abreden sie sich unfereinander, sie schlieften „freie Ver- 
trage". 

Und so bewegt sieh die gesamle Produktion inner- 
halb dieser kleinen Kommunen. Jedem sieht es frei, zu 
jeder Zeil aus der Kommune auszutreten; jede Kommune 
darf aus dem freiwilligen Verband Cder Federation) die- 
ser kleinen Kommunen (der Arbeiiergenossenschaflen) 
nach Belieben austreten. 

Haben nun die Anarchisien Recht? Der erste beste 
Arbeiter, der die heufige fabrikmaftige maschinelle Pro- 
dukhon kenni, muft einsehen, daft sie Unrecht haben. Wir 
wollen gleich sagen, warum. 

Die kiinflige Gesellschaftsordnung soil doch eben die 
arbeitenden Menschen vor zwei Uebeln und Ungliicks- 
fallen bewahren. Ersiens, vor der Unferdriickung des 
einen Menschen durch den andern, vor der Ausbeutung; 
davor, daft der Eine auf dem Nacken des Andern sike. 
Dies wird dadurch erreichl, daft das Joch des Kapitals ab- 
gescliuttelt wird, daft den Kapitalisien ihre Reichiiimer 
genommen werden . Aber es gibf noch eine andere Auf- 
gabe. Diese besleht darin, daft der Mensdi sich vom 
Joche der Natur befreie, diese Naiur seiner Kraft unter- 
werfe, und die Produktion auf die beste, auf die voll- 
kommenste Art vonsiatten gehe. Erst dann wird es mog- 
lich sein, daft jeder Menscli zur Erzeugung von Nahrung, 
Siiefeln, Kleidern, Hausern usw. nur wenige Zeit braucht, 
1A 



'die Ubrige Zeii aber fur seine geisiige Entwicklung ver- 
wenden kann; fiir die Wissenschaft, fur die Kunst, fiir all 
das, was das Menschertdasein verschbnt. Die Urahnen 
des jekigen Menschen, die wie Herden von Halbaffen 
lebten, foaren gewifi unier einander gleich. Aber sie fiihr- 
ten ein fterisches Dasein, weil nichi sie die Naiur unter- 
worfen hatien, sondern die Naiur sie vollends in Knecht- 
schaft hiell. Im Gegenieil, bei dem kapitalistischen 
Grokbetrieb hat es die Menschheit gelernt, die Na- 
iur zu bemeistern, — und dennoch lebt die Arbeiter- 
klasse wie das liebe Arbeiisvieh, weil auf ihrem Nacken 
die Kapitalisten siken, weil die okonomische Ungleichheit 
herrscht. Was folgt also daraus? Daraus folgt eben, 
dak die okonomische Oleichheit mil der Produktion 
in Grokbetrieben vereinigl werden muk. Es ge- 
niigt nicht allein, dak die Kaplialisten verschwinden. Die 
Produktion mug, wie wir gesehen haben, auf die brei- 
teste Grundlage gestellt werden. Alle winzigen, untaug- 
lichen Unternehmen mussen dahinsterben. Die gesamfe 
Arbeit muk sich auf die grdfeien Fabriken, die grb&ten 
Werksfatten und groftten Landereien konzentrieren. Aber 
nicht eiwa so, dak Hans nichi wisse, was Peter tut, und 
Peter nicht, was Hans tut. Eine solche Ordnung ist nichis 
wert. Was not tut, das ist ein einheitlicher Arbeits plan. 
]e mehr Ortschaften dieser gemeinsame Plan umfaRt, 
urnso besser. Die ganze Welt muk lekten Endes cine 
einzige Arbeiisgemeinschafi werden, in der die gesamte 
Menschheit nach einem sireng ausgearbeiteten errech- 
neten und streng gepriiften Plan von sich heraus arbeite, 
ohne alle Herren und Kapitalisten, und zwar mit den 
besten Maschinen und den grokten Betrieben. D a m i t 
dieProduktionvorwartsgebracht werden 
kann, darfdieProduktionimGrokbeirieb, 
wiewirsiealsErbteil des Kapitalismus 
haben. nicht zersplittertwerden. Im Gegen- 



teil, die Beiriebe mtissen noch vergrofjert werden. 
Je weiter und je grd&er der gemeinsame Plan sein wird, 
in je grbgerem Rahmen die Gesamtproduktion organisiert 
sein wird, umso mehr wird sie sich von dem einen ge~ 
meinsamen siaiislischen Zentrum aus lenken Iaapn; mit 
andern Worlen, je mehr die Produkiion zentr eflFi s i e r t 
sein wird, umso besser. Denn je weniger Arbeit auf 
jeden Einzelnen enifallen wird, umso freier wird jeder 
Einzelne sein, umso mehr Bewegungsmoglichkeit wird die 
menschliche Gesellschafi fiir ihre geistige Eniwicklung 
haben. 

Aber das stehi gerade im Widerspruch zu jener kiinf- 
tigen Gesellschaftsordnung, wjelche die Anarchislen ver- 
fechien. Anstart die Produkhonsbefriebe zu vergro&ern, 
zu zentralisieren und zu ordnen, zersplitiert sie die anar- 
chistische Gesellschafisordnung und vermindert in- 
folgedessen die Herrschaft des Menschen iiber die Naiur. 
Hier gibf es keinen gemeinsamen Plan, keine grofje Or- 
ganisation. Bei der anarchistischen Verfassung wiirde 
man nichi einmal die gro&en Masdiinen ordenilich aus- 
nuken, die Eisenbahnen auf einen Fahrplan bringen, die 
groken Bewasserungs- und Drainageanlagen unter- 
nehmen konnen. Wir wollen hier nur ein kleines Beispiel 
anfiihren. Man spricht jekt viel von der Einfiihrung der 
Elekirizilat ansielle der Dampfmotoren und der Aus- 
nukung der Energie der Wassei falle zur Gewinnung von 
elektrischer Energie usw. Um die gewonnene elektrische 
Energie richtig zu verteilen, mufc man natiirlidi genau be- 
rechnen, ausmessen und erwagen, wieviel Energie und 
wonin diese Energie abgegeben werden soil — damit 
man auch den groklen Nuken von ihr hat. Aber was be- 
deutet das? Wann ist so eiwas moglich? Das ist doch 
nur dann mdglidi, wenn die Produktion im groken Mafe- 
stab vor sidi geht, wenn sie sich in einem oder zwei 
groken Zeniren der Berechnung und Verwaliung konzen- 
20 



tiert. Das ist dagegen u n m 6 g 1 i c h bei dem anar- 
chistisdien System, der kleinen, zersplifterten, locker mil 
einander verbundenen Kommunen. Auf diese Weise 
sehen wir, daft bei der anarchistischen Gesellschafisform 
eine ordeniliche Organisation gar nichi moglich ist. Und 
dies hat einen langen Arbeitstag zur Folge, d. h. einen 
grofteren Grad der Abhangigkeit des Menschen von der 
Natur. Die anarchistische Gesellschaftsordnung ware ein 
Hemmschuh, der die Menschheit im Vorwartsgehen hin- 
derte, — und aus diesem Grunde bekampfen wir, Kom- 
munisten, die Lehre, welche die Anarehisten verbreiien. 
Nun ist es klar, vvarum die Predigt des Anarchismus 
auch zur T e i 1 u n g fiihrt, — anstatt einer regelmaftigen 
kommunistischen gesellschaftlichen Ordnung. Die anar- 
chistische kleine Kommune ist ja nichi eine gro&e 
Arbeitsgemeinschaft von Menschen, sondern ein Hauf- 
lein, das sogar nur aus zwei Personen bestehen kann. In 
Petersburg besiand z. B. eine solche Gruppe: „Verein 
der fiinf Unterdriickten". Nach der Lehre des Anarchis- 
mus kann selbst ein „Verein der zwei Unterdriickten" 
bestehen. Jefei stellen Sie sich vor, was entstehen wiirde, 
wenn jede Gruppe von fiinf Menschen, oder jedes Paar, 
selbstandig requirieren, konfiszieren und eigen- 
machtig zu handeln beginnen wollte. Rutland hat eine 
arbeitende Bevbikemng von etwa hundert Millionen. 
Wenn diese in tauter „Vereine der fiinf Unterdriickten" 
aufginge, so haften wir in Rutland zwanzig Millionen (und 
jede Million heiftt tausend mal tausend) solcher Kom- 
munen. Man kann sich ausmalen, welch babylonische Ver- 
wirrung entstehen miiste, wenn diese zwanzig Millionen 
Kommiinchen selbstandig zu handeln anfingen! Wir 
hatien dann ein solclies Chaos, eine solche „Anarchie", 
da§ Got! behiite! Es ist audi begreiflich, dafi, wenn solche 
Gruppen angefangen hatten, selbstandig sich die Giiter 
der Reichen anzueignen, man hodislens zu einer Teilung 

2t 



gelangt ware. DieTeilung aber fuhri, wie wir oben bereits 
gesehen haben, von neuem zur Herrschaff des Kapiials, 
zur Unierdruckung und zur Macht iiber die werktaligen 
Massen. 

V. Durch die Dikiatur des Proletariats zum Kommunismus. 



Wie soil nun die kommunisiische Ordnung errichiei 
werden? Wie gelangt man zu ihr? Darauf antwortet die 
Partei der Kommunisien: durch die DiJ<taiur des 
Proletariats. 

Diktatur — das bedeutet eiserne Gewalt, eine Gewalt, 
die kein Erbarmen mit ihren Feinden hat. Diktatur der 
Arbeiterklasse bedeutet die Regierungsgewalt der Ar- 
beiterklasse, welche die Bourgeoisie und die Grund- 
besitzer erstickt. Diese Arbeiterregierung kann nur aus 
der sozialisiischen Revolution der Arbeiterklasse hervor- 
gehen, der Revolution, die den biirgerlichen Staat und 
die biirgerliche Regierung zerstbrt und auf ihren 
Triimmern eine neue Macht errichiet — die Machi des 
Proletariats selbst und der das Proletariat siutzenden 
armen Bauernschichten. 

Hier treien wir in der Tat fur einen Arbeiter- 
staat ein, wahrend die Anarchisten dagegen sind. Wir, 
Kommunisien, sind also fur eine A r b e i t e r regierung, 
diesolangenotig ist, bis die Arbeiter- 
klasse ihre Gegner in ihre feste Hand b e- 
kommen, bis sie der gesamten Bourgeoi- 
sie den Hochmut ausgetrieben hat und 
bis der Bourgeoisie selbst alle Hoff- 
nung vergangen ist, jewieder zur Macht 
zu gelangen. 

— So seid ihr, Kommunisien, also fur die Gewalt? 
— wird man uns fragcn. — Gewiss, — anfworten wir 
darauf, wir sind aber fur die revolutionare Ge- 
22 



I 

wait. Vor allem denken wir, da^ durch gutes Zureden bei 
den Kapitalisien die Arbeiierklasse nie eiwas erreichen 
wird. Auf dem Wege der Versbhnlichkeii, wie es die 
Menschewiki und die Sozialrevoluiionare lehren, 
kommi nichts Gules heraus. Die Arbeiierklasse kann nichi 
anders zur Befreiung gelangen als durch eine Revo- 
lution, d. h. den Sturz der Madii des Kapitals und die 
Vernichtung des biirgerlichen Siaates. Aber jede Revo- 
lution heifjl den bisherigen Herren Gewalt aniun. Die 
Oktober-Revolution 1917 in Rutland hat den gewali- 
iaiigen Gutsbesitzern und dem Zaren Gewalt angetan; 
die Oktoberrevolution bedeuiet die Vergewaltigung der 
russischen Bourgeoisie durch die Arbeiter, die Bauern 
und die Soldaten. Und eine s o 1 ch e Gewalt derjenigen 
gegeniiber, die Millionen arbeiiender Massen unier- 
driicken, diese Gewalt ist nicht vom Uebel — diese Ge- 
walt ist heilig! 

Aber die Arbeiierklasse ist gezwungen, gegen die 
Bourgeoisie Gewali zu gebrauchen audi dann noch, wenn 
sie diese im offenen revolutionaren Kampf niederge- 
worfen hat. In der Tat. Selbst dann noch, wenn die 
Arbeiterklasse den biirgerlichen Siaat bereiis zersioit 
hat, hori ja diese Bourgeoisie nichi auf, als Klasse zu 
existieren. Sie verschwindei keineswegs mit einem 
Sdilag. Sie hegt noch weiier die Hoffnung, zur alien Herr- 
schaft zuriickzukehren und ist deshalb bereit, mit Allem 
un.d Allen sich zum Kampfe gegen die siegreiche Ar- 
beiierklasse zu verbiinden. 

Die Erfahrung der russischen Revolution hat das 
durchaus besiaiigt. Im November 1917 hat die Arbeiier- 
klasse die Bourgeoisie von der Regierung gewattsam 
verdrangt. Aber dessen ungeachiet hat die Bourgeoisie 
bei weiiem noch nichi die Flinie ins Korn geworfen; sie 
agitierie gegen die Arbeiter, mobilisierie alle ihre Krafie 
und war auf jede Art besirebt, das Proletariat nieder- 

23 



zuschmettem und selber r.on Neuem zur Macht zu ge- 
langen. So hai die Bourgeoisie die Sabotage organisiert, 
das heisst das contrerevolutionare Verlassen der Posten 
von Seiien der Beamten und der Angestellien, die sich 
den Arbeitern und Bauern nicht fiigen wollten; sie orga- 
nisierte die bewaffneten Krafie eines Duiow, Kaledin und 
Kornilow; sie organisiert jetzt, wahrend diese Zeilen 
geschrieben werden, zum Vormarsch gegen die sibin- 
schen Sowjets die Banden des Kosakenfiihrers Sem- 
jonow; schlieljlich rufi sie die Armeen der a u s- 
landischen' Bourgeoisie zu Hiilfe: die deut- 
schen, japanischen usw. Die Erfahrung der russischen 
Oktoberrevolution zeigt uns also, daft die Arbeiter- 
klasse selbst nach erfochtenem Sieg gezwungen isi, 
gegen machtige auijere Feinde (die kapitalistisdien 
Raubsiaaten) zu kampfen, die der gestiirzten einhei- 
mischen Bourgeoisie zu Hilfe eilen. 

Beirachten wir jetzt mit nuchternen Augen die 
heutige Welt, so sehen wir, dafj allein in Rutland es dem 
Proletariat gelungen ist, die Macht des biirgerlichen 
Staates zu sturzen. Die ganze Librige Welt gehbrt noch 
den Raubern des Grokkapitals. Das Rutland der Sowjets 
mit seiner Arbeiter- und Bauernregierung ist ein kleines 
Inselchen inmitten des sturmischen Meeres des Kapitalis- 
mus. Aber selbst wenn auf den Sieg der russischen Ar- 
beiter ein Sieg der Arbeiter in Deuischland und Oester- 
reich-Ungarn folgen wiirde, so blieben noch die anderen 
groften Raubstaaten des Kapitals iibrig. Wenn das ganze 
kapitalistische Europa verkrachen und unter den 
Schlagen der Arbeiterklasse zusammenstiirzen wiirde, 
bliebe noch die kapitalistische Welt Asie'ns mit den 
Raubern Japans an der Spitze; das Kapital Amerikas 
unter Anfiihrung jenes ungeheuerlichen kapitalisiischen 
Raubverbandes, dessen Name Vereinigie Staaten von 
Amerika ist. Alle diese kapitalistischen Staaten werden 
24 



ihre Position nichi ohne Kampf aufgeben. Sie werden 
aus Leibeskraft kampfen, urn nicht dem Proletariat die 
Weltherrschaft zu iiberlassen. Je machliger der Ansturm 
des Proletariats ist, um so gefahrlidier wird die Lage 
der Bourgeoisie, um so mehr muk diese alle ihre 
Krafte im Kampt gegen das Proletariat anspannen. Ein- 
mal siegreich in einem Lande oder in zwei drei Landern, 
muk das Proletariat unvermeidlich mit der iibrigen 
biirgerlichen Welt zusammenprallen, die bemiiht sein 
wird, mit Blut und Eisen den Befreiungsversuch der Ar~ 
beiterklasse zu erstid<en. 

Was folgt also daraus? Daraus folgt, dak vor der 
k&nmunistischen Gesellschaftsordnung und n a ch der 
kapitalistischen, also in der Zwisdienzeit zwischen dem 
Kapitalismus und dem Kommunismus, selbst nach der 
sozialen Revolution in einigen Landern die Arbeiter- 
klasse einen harten Kampf mit ihren inneren und aukeren 
Feinden zu bestehen haben wird. Und fiir diesen Kampf 
braucht man eine Organisation, eine straffe, ausge- 
dehnte, festgefiigte Organisation, die Liber alle Miltel 
des Kampfes verfiigt. Als eine solche Organisation der 
Arbeiterklasse erscheint der proletarisdie Staat, 
die Regierung der Arbeiter. Wie audi jeder Staat, bildei 
der proletarisdie Staat eine Organisation der herr- 
schenden Klasse (denn die herrschende Klasse ist in 
diesem Fall die Arbeiterklasse) und eine Organisation 
der G e w a 1 1, aber der Gewalt iiber die Bourgeoisie; 
ein Mittel zur Abwehr der Bourgeoisie und deren end- 
giiltige Vernichtung. 

Derjenige ist iiberhaupt kein Revoluiionar, der voi 
einer solchen Gewalt zuriickschreckt. Die Frage dei 
Gewalt darf nicht so gestellt werden, dak jede Gewal' 
schadlidh sei. Unsinn. Die Gewalt, die von den Reicher 
gegen die Armen angewandt wird, von den Kapitalister 
gegen die Arbeiter, — diese Gewalt richtet sich geger 



die werkiatigen Massen und hat zum Ziel, das kapita- 
Ustische Raubwesen zu uniersiiitzen und zu siarken. Da- 
gegen, die Gewalt von Seiten der Arbeiter gegen die 
Bourgeoisie hai zum Ziel die Befreiung von Millionen 
arbeitender Menschen, die Erlosung von der Knuie des 
Kapitals, von den Raubkriegen, von der wilden Pliinde- 
rung und Vernichtung all dessen, was die Menschheii 
durch Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch gebaut 
und gesammeli hai. Aus diesem Grunde bedarf es zum 
Zweck der Revolution und des Aufbaus der kommunisii- 
schen Gesellschaftsordnung des eisernen Apparates der 
Arbeiterdiktatur. 

Es mufc jedem einleuchten, da& in der Uebergang^- 
zeit das Proletariat alle seine Krafte wird anspannen 
miissen fund es audi jetzt schon tun mufe), um aus dem 
Kampf gegen seine zahlreichen Feinde als Sieger hervor- 
zugehen, und dass keine andere Organisation mit den 
Feinden der Arbeiterklasse fertig zu werden vermag, 
aujjer einer Organisation, welche die Arbeiterklasse und 
die arme Bauernschaft des ganzen Landes um- 
fa&t. Ware man im Stande, die auslandischen Imperia- 
listen sich vom Leibe zu halten, wenn man die Re- 
gierungsgewalt und die Armee nicht in der Hand hatte? 
Gewii nicht. Kann man denn die Gegenrevolution be- 
kampfen, wenn man keine Gewehre (das sind.Instru- 
mente der Gewalt) hat und keine Gefangnisse, um Gegen- 
revoluiionare und Plunderer einzusperren (und audi das 
ist ein Mittel der Gewalt), ebenso wie andere Mittel des 
Zwanges und derZahmung?Wie soil man die Kapitalisten 
zwingen, sich der Arbeiterkontrolle, allerlei Konfiska- 
tionen usw. zu fiigen, wenn die Arbeiterklasse nicht die 
Mittel hat, sie zur Pflicht zu zwingen? Man kann 
naturlich sagen, da| dazu ein paar „Vereine der fiinf 
Unterdriickten" oder einige sogenannte (terroristische) 
..Kamptesorganisaiionen" vollauf genligen. Das ist aber 
26 



Unsinn. Wenn die Bourgeoisie gegen uns ganze Re- 
gimenter aufziehen la&t, und wir die Mdglidikeit 
h a b e n, gegen sie ebensolche Regimenter zu organi- 
sieren, so miifcien wir die grdftten Dummkdpfe sein, 
wenn wir nicht unsere ganze Kraft darauf verwendeten, 
urn solche rote Regimenter zu stande zu bringen, ein- 
zuiiben und aufzuklaren. Und das kann nur eine solche 
Arbeiter- oder Arbeiter- und Bauernorganisation er- 
reiehen, welche das ganze Land umfajjt. Eine solche 
Organisation ist eben der Arbeilerstaat, die D i k- 
tatur des Proletariats. 

Aus den Eigentiimlichkeilen der Uebergangs- 
z e i t ergibt sich die Notwendigkeit des Staates. Ja, 
selbst wenn die Bourgeoisie in der ganzen Welt besiegt 
sein wird, wird sie, die an Mussigang gewohnt ist und auf 
die Arbeiter zu schimpfen pflegt, sich von der Arbeit zu 
drucken suchen und bemuht sein, dem Proletariat zu 
schaden. Sie mu§ gezwungen werden, dem Volke zu 
dienen. Das kann aber nur auf dem Wege der G e w a 1 1 
und des Z w a n g e s geschehen. 

In den rucksiandigen Landern (und ein solches riick- 
standiges Land ist Rutland) gibt es noch eine game 
Menge kleiner Eigentiimer — Arbeitsuntemehmer, Wu- 
cherer, Blutsauger und anderer Landplagen. Sie alle 
sind gegen die Dorfarmen, und noch mehr gegen die 
stadtischen Arbeiter. Sie folgen dem Grofjkapital und 
den ehemaligen Grundbesitzern. Natiirlich miissen sie von 
der armen Bauernschaft geziigelt werden, sobald sie 
gegen die Revolution auftreten. Die Arbeiter miissen 
darnach trachten, eine regelmafiigeOrdnung herzustellen, 
die den Fabrikanten abgenommenen Betriebe zu organi- 
sieren, den landwirtschaftlichen Betrieb der Bauern in 
Gang zu bringen und eine richtige Verteilung des Brotes, 
der Textilwaren, der Eisenprodukte usw. zu besorgen. 
Aber der Wucherer und Kriegsgewinnler straubt sich 

27 



dagegen, will sich der Allgemeinheit nicht fiigen. Ich 
bin mein eigener Herr" — sagt er. Die Arbeiier und die 
armen Bauern miissen ihn z w i n g e n, zu parieren, ge- 
nau so wie sie die Gro&kapitalisten, die ehemaligen 
Gutsbesitzer und die friiheren Generate und Offiziere 
zwangen. 

)e gefahrlicher die Lage der Arbeiierrevoluiion ist, 
von je mehr Feinden sie umringi ist, um so unerbittlicher 
muss die Arbeiterregierung sein, um so fester muk der 
revolutionare Arm der Arbeiter und der armen Bauern 
sein, um so energischer muss die D i k t a t u r sein. Die 
Regierungsgewalt in den Handen der Arbeiter ist die 
Axt, die sie gegen die Bourgeoisie bereit halten. Bei der 
kommunisiischen Gesellschaftsordnung, wenn die Bour- 
geoisie nicht mehr existieren wird, wenn die Klassen- 
unterschiede gefallen sein werden, wenn es weder eine 
aufcere noch eine innere Gefahr mehr geben wird — dann 
wird diese Axt audi nicht mehr notig sein. In der Ueber- 
gangszeit aber, da Feinde ringsum die Zahne fletschen 
und die ganze Arbeiterklasse im Blut ertranken mochten 
(man braucht sich nur an die Niedermetzelungen der 
finnischen Arbeiter, an die Niedermekelungen in Kiew, 
an die Niedermefeelungen der Arbeiter und Bauern in 
der ganzen Ukraina und an die Niedermefeelungen in 
l.ettland zu erinnern!) — da kann nur derjenige unbe- 
waffnet, ohne diese Axt der Staatsgewalt auftreten 
wollen, der iiberhaupt keine Ahnung hat. 

Gegen die Diktatur des Proletariats wird von zwei 
verschiedenen Seiten ein Geschrei erhoben. Einerseits 
— von Seiten der Anarchisten. Sie sind eben iiberhaupt 
gegen jede Regierung, folglich auch gegen die Regie- 
rung der Arbeiter und Bauern. Ihnen konnen wir nur 
zurufen: „So geht doch in ein Frauenklosier, wenn ihr 
dagegen seid, dak die Arbeiter ein Gewaltmiitel gegen 
d i e Bo urgeoisie in den Handen habeni" 
28 



Andererseits frefen gegen die Arbeiierdiktatur (ob- 
wohl sie selbst friiher dafiir schrieben) die Menlbhewiki 
und die rechtsstehenden Sozialrevolutionare auf. Sie 
sind, heiljt es, dagegen, dak man die Freiheiten . . . der 
Bourgeoisie antaste. Sie sind dafiir, dak die biirger- 
liehen Tunichtgute wieder ihr Hab und Gut bekommen 
und seelenvergniigi auf den Vergniigungsstraken einher- 
spazieren. Sie meinen, die Arbeiterklasse sei noch nicht 
„reif genug" fiir eine Dikiatur. Ihnen kdnnen wir sagen: 
„So geht doch zur Bourgeoisie, die ihr so sehr liebt, ihr 
Herren Beschiitzer! Aber lakt dann die Arbeiterklasse in 
Ruh, schert euch nicht urn die armen Bauern!" 

Qerade deshalb, weil die kommunislische Partei die 
eiserne Diktatur der Arbeiter iiber die Kapiialisten, Wu- 
cherer, ehemalige Gutsbesitzer und andere reizenden 
Ausgeburien des alten biirgerlichen Regimes verfichl, ist 
sie auch die radikalste, die revolutionarste unier alien 
bestehenden Gruppen und Parleien. Durch die unerbitt- 
lich feste Macht der Arbeiter zum Kommunismus! — das 
ist die Losung unserer Partei. Und das Programm 
unserer Pariei ist das Programm der pro- 
letarischen Diktatur. 

VI. Arbeiterrat-Regierung oder biirgerliche Republik? 



Aus unserer Auffassung von der Noiwendikeit einer 
Diktatur geht auch als unvermeidliche Folge der Um- 
stand hervor, dag wir die veraltete Form der parlamen- 
iarischen, biirgerlichen (man nennf sie auch manchmal 
„demokratischen") Republik bekampfen und ihr eine neue 
Form der Staatsform entgegensetzen: die Regie- 
rung der Sowjets (der Rate) der Arbeiter-, 
Soldaten- und Bauerndeputierfen. 

Die Menschewiki und die Sozialrevolutionare freten 
aus Leibeskraft fiir die Konstiluierende Versammlung und 

29 



die parlameniarische Republik ein. Sie schreien an alien 
Strafte^ecken gegen die Arbeiierregierung. Warum? 
.Vor allem darum, weil sie vor der Regierung der Ar- 
beiter Angst haben und gerne mochien, daft die Bour- 
geoisie die Machi beibehalte. Die Kommunisten aber, 
die nicht allein auf dem Papier sondern durch die Tat 
die kommunistische (sozialistische) Gesellschaitsordnung 
verwirklichen wollen, miissen unbedingt die Diktaiur des 
Proletariats und den endgiiltigen Sturz der Bourgeoisie 
verfechien. Daraus folgt der ganze Unterschied. Und 
gerade deshalb marschieren die Parteien der Mensche- 
wiki und der Sozialrevolutionare in gleichem Schritt und 
Tritt mit der Bourgeoisie. 

Worin besteht der grundsatzliche Unterschied zwi- 
schen einer parlamentarischen Republik und einer Rate- 
republik? Darin, daft in der Raterepublik die nicht werk- 
taiigen Klassen kein Stimmrecht haben und an den Re- 
gierungsgeschaften nicht teilnehmen. Das Land wird 
durch die Rate regiert. Und diese Rate werden von der 
werktatigen Bevblkerung an den Arbeitssiatien selbst 
gewahlt, in den Fabriken und Werkstatten, in den Berg- 
werken, in den Dorfern. Die Bourgeoisie, die fruhern, 
Gutsbesitzer, die Zinsenschinder, die Intellektuellen vom 
Geiste Kornilows, die Bankiers, die Handler und Speku- 
lanten, die Kaufleute, die Kramer, die Pfaffen und 
Klosterbruder — kurz, die ganze schwarze Armee des 
Kapitalismus ist nicht stimmberechtigt und hat auch keine 
poliiischen Rechte. Die Grundlage der parlamentarischen 
Republik bildet die Konstituierende Versammlung. Die 
hochste Insianz der Raterepublik ist der Ratekongreft. 
Wodurch unterscheidet sich vorderhand der Ratekongre& 
von der Konstituierenden Nationalversammlung? Auf 
diese Frage kann mit Leichtigkeii jeder antworten, der bis 
fiinf zu zahlen versteht. Freilich, die Herren Menschewiki 
und Sozialrevdlutionare hiillen diese Frage in Wolken 
30 



urtd erfinden verschiedene feierliche Worie, wie z. B. „der 
Herr des russischen Landes" usw. Aber die Wahrheit 
la&t sich nicht verbergen. Die Konstituierende National- 
versammlung ist dadurch vom Raiekongrejj verschieden, 
dak in sie nichi allein die Arbeiter gewahlt werden, son- 
dern auch die Bourgeoisie und alle ihre Helfershelfer. 
Sie unterscheidet sich folglich vom Ratekongreft dadurch, 
dak dort, in der Konstituierenden Versammlung, nicht 
allein Arbeiter und Bauern, sondern auch Bankiers, Guts- 
besitzer und Kapitalisten das grosse Wort fiihren 
konnen; nicht allein die Arbeiterpartei, d. h. die Kom- 
munisten, nicht allein die linken Sozialrevolutionare, und 
nicht allein die Sozialverrater, wie z. B. die rechten 
Sozialrevolutionare und die Menschewiki, sondern selbst 
die Kadetten (die Partei des Volksverrates), die Okto- 
bristen (Nationalliberale) und Armanger der Schwarzen 
Hundert. Um diese Stimmen bemiihen sich eben die ver- 
ehrten Herren Vermittler. Wenn sie von der Notwendig- 
keit einer Konstituierenden Versammlung „aus dem 
ganzen Volke", der „ganzen Nation" posaunen, so halten 
sie die Rate nicht fur die Vertreter des ganzen Volkes, 
weil dort zur Vollzahligkeit des russischen Volkes d i C 
Bourgeoisiefehlt, dort allerhand Herren S ch i n d- 
m a y e r und Quetschhuber abwesend sind. Zu dem werk- 
tatigen Volke die ganzen Ru^el der Schmarotzer hinzu- 
fiigen, diesen Feinden des Volkes alle.Rechte verleihen, 
sie ins Parlament setzen und aus der Klassenregierung 
der Arbeiter und Bauern eine Klassenregierung der 
Bourgeoisie unter dem Deckmantel der Volkstiimlichkeit 
machen — das ist das Ziel der rechisstehenden Sozial- 
revolutionare, der Menschewiki, der Kadetten, kurz, des 
Grosskapitals und seiner Kleinagenten. 

Die Erfahrung aller Lander zeigt, daft die Bourgeoi- 
sie dort, wo sie alle Rechte geniefct, stets die Arbeiter- 
klasse und die arme Bauernschaft betriigt 

31 



Dadurch, dak die Bourgeoisie die Presse, die Zei- 
iungen und Zeitschriften in ihren Handen hat, grosse 
Reichtiimer besiizt, die Beamten besiechen kann, die 
Dienste von Hunderrtausenden ihrer Agenten geniekt, 
die eingeschiichierten Sklaven bedroht und sie weiter 
einschiichieri, — versteht die Bourgeoisie es so einzu- 
riditen, daft sie die Machi nidii aus der Hand gibt. Es 
hat den Anschein, als ob fast das gesamte Volk an den 
Wahlen teilnehme. Aber dieses Deckmanieldien verbirgt 
die Herrschafi des Finanzkapitals, das ausgezeidmet 
seine Vofieile zu wahren versteht und sich noch dazu 
briisiei, dem „VoIke" das Stimmrecht zu geben und 
allerlei „demokratische" Freiheiten zu wahren. So sehen 
wir in alien Landern mit burgerlicher Republik (zum 
Beispiel in Frankreich, in der Schweiz, in den Vereinigten 
Staaten Amerikas), dak ungeachtet des allgemeinen 
Wahlrechis die Oewalt sieh vollends in den Handen der 
Bankgewaltigen befindet. Auf di'ese Weise wird es klar, 
was die Rechts-Sozialrevolutionare und die Mensche- 
wiki anstreben, wenn sie die Regierung der Rate stiirzen 
und die „Konstituierende Versammlung" einberufen 
wollen. Durdi die Verleihung des Stimmrechts an die 
Bourgeoisie wollen sie den Uebergang zu jener Ordnung 
vorbereiten, die in Frankreich und Amerika herrscht. Sie 
sind ja der Ansidit, die russischen Arbeiter seien noch 
„nicht reif", um sich selbst zu regieren. Die Pariei der 
Bolsdiewiki-Kommunisten glaubt dageyen, dak gegen- 
wartig die Arbeiterdiktatur vonndten ist und dag von 
einer Ueberlassung der Gewalt an andere nicht die 
Rede sein kann. Man muk der Bourgeoisie jede Mdglich- 
keit nehmen, das Volk zu betrugen. Man muk sie auf die 
entschiedenste Weise aus der Regierung verdrangen, 
denn wir leben in einer Zeii des scharfsten Kampfes. Die 
Diktatur der Arbeiter und der armen Bauern muk ver- 
starkt und erweitert werden. Deshalb ist ja die Staats- 
32 



gewalt der Rate noiwendig. Da gibt es keine Bourgeoi- 
sie. Da gibi es keine Grundbesitzer. Da wird das Land 
von den Arbeiter- und Bauernorganisationen regiert, die 
mil der Revolution entstanden sind und auf ihren Schul- 
tern die ganze Schwere des grossen Kampfes ausge- 
tragen haben. 

Noch mehr. Die* einfache Republik bedeutet nicht 
allein die Regierung der Bourgeoisie. Sie kann auch 
niemals, ihrem ganzen Aufbau nach, vom Oeiste der 
Arbelterklasse durchdrungen sein. Beim System der 
parlamentarischen Republik gibt jeder Burger alle vier 
oder fiinf Jafire seinen Siimmzettel ab — und damit ist 
die Sache erledigt! Alles iibrige wird den Abgeordnelen, 
den Ministern, den Prasidenten iiberlassen, die alles 
lenken. Die Verbindung mit den Massen tehlt. Die Massen 
des werktatigen Volkes werden lediglich von den Be- 
amten des biirgerlichen Staates bearbeitet und ausge- 
beutet, an der Verwaltung nehmen sie aber keineswegs 
teil. 

Etwas ganz anderes ist die Raterepublik, die der 
Arbeiterdiktatur entspricht. Da ist die ganze Verwal- 
tung auf eine ganz besondere Grundlage gestellt. Die 
Rateregierung ist keine Organisation von Beamfen, die 
von den Massen unabhangig, von der Bourgeoisie aber 
abhangig ist. Die Rateregierung und ihre Organe stiitzen 
sich auf die breitesten Organisationen der Arbeiter- 
klasse und der Bauernschaft. Die Gewersehaften, die 
^etriebsrate, die lokalen Arbeiter- und Bauernrate, die 
^oldaten- und Matrosenorganisationen — sie alle unter- 
stiitzen die zentrale Rateregierung. Von der Zentral- 
gewalt der Rate gehen nach alien Seilen Tausende und 
Millionen von Fadchen aus; diese Fadchen fiihren zu- 
nachst zu den Provinzial- und Bezirksraien, dann zu 
den lokalen Raten, von diesen zu den Raten der einzelnen 
Betriebe und Werke. die Hunderttausende von Arbeitern 

» 33 



umfassen. Betrachien wir zum Beispiel den oberen Volks- 
wirtschaftsrat. Er besteht aus den Vertretern der Oe- 
werkschaftsvorstande, der Beiriebsrate und anderer 
ahnlicher Organisationen. Die Gewerkschaften umfassen 
ihrerseits ganze Industrien, haben in den verschiedenen 
Stadten, Zweigabteilungen und siiitzen sich auf die 
organisierten Massen der Fabrikarbeiter usw. Jefel gibt 
es in jeder Fabrik einen Befriebsrat, der von den Ar- 
beitern der betreffenden Fabrik gewahlt wird; die Be- 
triebsrate sind dann wiederum untereinander verbunden. 
Und diese senden ihre Abgeordneten in den oberen 
Volkswirtschaftsrat, wo die volkswirlschaftlichen Plane 
ausgearbeitet werden und die Produktion verwaltei wird. 
Das zentrale Verwaltungsorgan ist also audi hier aus Ar- 
beitervertretern gebildet und stiifet sich auf die Massen- 
organisationen der Arbeiterklasse und der armen Bau- 
ern. Wir haben es also hier mil einer ganz anderen Ein- 
richtung zu tun, als bei der biirgerlichen Republik. Nicht 
allein, da{j die Bourgeoisie der Rechte verlushg ist. Und 
es handelt sich nicht allein darum, dafi das Land von den 
Vertretern der Arbeiter und Bauern regiert wird. Die 
Sache ist aucR die, dafj die Rate regierend sich in be- 
standiger Verbindung mit den Massenorganisationen der 
Arbeiter und der Bauern befinden, und auf diese Weise 
die breitesten Volksmassen die ganze Zeit hindurch an 
der Verwaltung des Arbeiter- und Bauernstaates teil- 
nehmen lassen. Deshalb iibt hier jeder organisierte Ar- 
beiter seinen Einflug aus. Er nimmt an der Staatsverwal-^ 
♦ung nicht darum nur teil, weil er einmal oder zweimal im 
Monat seine Vertrauensmannerwahlt. Nein. Angenommen, 
die Gewerkschaften stellen die Produktionsplane auf, — 
so werden dann diese Plane in den betreffenden Ar- 
beiter- oder den Wirtschaftsraten gepriift, und wenn sie 
angenommen werden, erhalten sie Gesebeskraft, sobald 
sie von dem Zentralvollzugsausschufi der Rate bestatigt 
34 



sin'd. Eine jede Gewerk'schaft, ein jeder BetrieBsrat kann 
auf diese Weise an der allgemeinen Arbeit zum Aufbau 
der neuen Lebensform teilnehmen. 

In der biirgerlichen Republik fiihlt sich der Staat 
selbst urn so wohler, je geringere Tatigkeit die Massen 
selbst entwickeln. Denn die Interessen der Massen 
stehen im Gegensafc zu den Interessen des kapita- 
listischen Staates. Hatten, z. B., die Volksmassen der 
nordamerikanischen Republik ihre Stimme erhoben, so 
wiirde das so viel bedeuten, daft die Bourgeoisie und 
ihre Herrschaft dort zu Ende sind. Der biirgerliche Staat 
fujjt auf dem Betrug und der Einschlaferung der Massen 
und darauf, dajj die Massen von jeder Teilnahme an den 
taglichen Staatsgeschaften ausgesdilossen sind und nur 
alle paar Jahre einmal berufen werden, „abzustimmen'\ 
und durch ihre Simmabgabe sich selbst zu betriigen. 
Ganz anders verhalt sich die Sache in der Rate- 
republik. Die Raferepublik, die die Diktatur der Volks- 
massen verkdrpert, kann keinen Augenblick bestehen, 
wenn sie von den Massen losgerissen ist. Sie ist aber 
um so starker, je selbstandiger die Massen sind, je mehr 
Tatkraft sie entwickeln, je mehr an den einzelnen Orten, 
in den Fabriken in den Werkstatten, den einzelnen 
Stadten und den Dorfern, geleistet wird. Deshalb haben 
wir es hier nicht mit einem zufalligen Umstand zu tun, da& 
die Rateregierung bei der Veroffentlichung ihrer Dekrete 
sich an die Massen mit der Forderung wendet, die Ar- 
beiter und die armen Bauern selbst mdchten sie im Leben 
verwirklichen. Aus diesem Grunde ist audi seit der Ok- 
toberrevolution die Bedeutung aller Arten von Arbeiier- 
und Bauernorganisationen eine vdllig andere geworden. 
Friiher waren sie lediglich Werkzeuge im Klassenkampf 
gegen die regierende Bourgeoisie und die Gutsbesiker. 
Betrachten wir etwa die Gewerkschaften und die kleinen 
Bauernrate. Friiher war ihre Aufgabe: der Kampf gegen 
3 ' 35 



das Kapital um hohere Ldhne und kiirzere Arbeitszeit, 
und in den Ddrfern: der Kampf um die Landenfeignung 
der Gutsbesifeer. Jebt da die Regierungsgewalt sieh in 
den Handen der Arbeiter und der Bauern selbst befin- 
det, werden diese Organisationen selber zu Radchen im 
Regierungsmechanismus. Die Gewerksdiaften kampfen 
iefct nicht nur gegen den Kapitalismus, sondern nehmen 
als Organe der Arbeiterregierung, als Bestandteile der 
Raleregierung an der Organisation der Produktion und 
an der Verwe. Ifung der Industrie Teil; ebenso fiihren 
die Dorf- und Bauemrate nicht allein den Kampf gegen 
die Dorfwucherer, die Bourgeoisie und die Gutsbesitzer, 
sondern befassen sich auch mit der Einfiihrung der 
neuen Landesgesetze, d. h., sie v e r w a 1 1 e n, als Or- 
gane der Arbeiter- und Bauernregierung, das Agrar- 
wesen; sie wirken als Schraubchen und -Radchen in der 
Riesenmaschienerie der Staatsverwaltung, die sich in 
der Macht der Arbeiter und der Bauern befindet. 

So werden allmahlich durch die Arbeiter- und die 
Bauernorganisationen die breitesten Schichten des werk- 
tatigen Volkes zu den Sfaatsgeschaften herangezogen. 
Kein anderes Land vermag etwas ahnliches aufzuweisen. 
Denn noch in keinem anderen Land hat man den Sieg 
der Arbeiterklasse, die Diktatur des Proletari- 
ats, die Raterepublik, den Ratestaat. 

Begreiflicherweise passt die Rateregienmg, die der 
Diktatur des Proletariats entspricht, alien denjenigen 
Bevblkerungsschichten nicht, die wohl an einer Riickkehr 
zur kapitalistischen Sklaverei, nicht aber an der kommu- 
nistischen Wirtschafisordnung interessiert sind. Es ist 
ferner klar, dak diese Leute nicht often erklaren kdnnen: 
„Wir wollen die Knute und den Stock fur die Arbeiter". 
— Auch hierin brauchen sie B e t r u g. Dieser Betrug ist 
die besondere Spezialitat der Rechts-Sozialrevolutionare 
und der Menschewiki, die vom „Kampf um eine demo- 
36 



kratische Republik" reden und von dem Allheilmittel, der 
Konstituierenden Nationalversammlung usw. In der Tat 
aber handelt es sich hier nur darum, dalj die M a ch t a n 
die Bourgeoisie u bergehen solle. Aber in 
dieser grundlegenden Frage kann es keine Einigung 
geben zwischen uns, den Kommunisten, und den aller- 
hand Menschewiki, den rechtsstehenden Sozialrevolutio- 
naren und den iibrigen Herrschaften. Sie sind fiir den 
Kapitalismus, wir — fiir die Vorwartsbewegung zum 
Kommunismus! Sie treten fiir die Macht der Bourgeoisie 
ein, wir — fiir die Diktatur des Proletariats. Sie wollen 
eine burgerlich-parfamentarische Republik mit der 
Herrschaft des Kapitals, wir — eine sozialistische Rate- 
republik, in der die ganze Macht den Arbeitern und den 
armen Bauern gehbri. 

Bis jetzt, bis zur russischen Revolution 1917, wurde 
iiber die Diktatur des Proletariats lediglich geschrieben. 
Aber niemand wusste eigenilich genau, in welcher Form 
diese Diktatur verwirklicht werden wiirde. Die russische 
Revolution zeigte uns die Gesialf, die Form der Dik- 
tatur selbst: diese Form ist die Raferepublik. Deshalb 
setzen jetzt die besten Kolonnen des internationalen 
Proletariats auf ihr Banner die Devise der Raterepublik 
und der Rateregierung. Deshalb besteht auch unsere 
gegenwarfige Aufgabe darin, da& wir die Rateregierung 
in jeder Hinsichi festigen, sie von alien unwiirdigen Ele- 
menten saubern und an das Werk des Aufbaues mbglichst 
viele begabte Genossen heranziehen, die aus den Ar- 
beiter- und Bauernmassen hervorgegangen sind. Nur 
eine s o 1 ch e Regierung, die Rateregierung, die Regie- 
rung der Arbeiter und Bauern selbst kbnnen und miissen 
die Arbeiter und die Bauern verteidigen. 

Erlitten bei uns die Arbeiter und die Bauern eine 
Niederlage, wiirde bei uns die Konstituierende Versamm- 
lung einberufen werden; trate anstelle der Rate eine ge- 

37 



wohnliche biirgerliche Repubfik nach der Art der lran- 
zosischen oder der amerikanischen, — dann mufjten die 
Arbeiter sich zur ersten Aufgabe stellen, diese Republik 
zu stiirzen — die Arbeiterklasse wiirde keineswegs ver- 
pflichtet sein, sie zu verfeidigen. Denn ihre Sadie ist es, 
die Regierung der Arbeiter, nicht aber die der Bour- 
geoisie zu verfeidigen. Inbezug auf eine Regierung der 
Bourgeoisie hat die Arbeiterklasse nur eine einzige 
Dflicht, diese Regierung zu stiirzen. 

VII. Fretheiten fiir die Arbeiterklasse und die arme 
Bauernschaft, Zugel fiir die Bourgeoisie. 

Worffreiheit, Pressefreiheit, Koalitions- 

und Versammlungsfreiheit in der 

Raterepublik. 

Haben wir einmal die Diktatur der Arbeiter und der 
Bauern, eine Diktatur die zum Ziel hat, die Bourgeoisie 
endgiiltig zu ersticken, der Bourgeoisie jede Lust auszu- 
treiben, einen Versuch zur Wiederhersiellung der biirger- 
lidhen Gewalt zu unternehmen — so kann von weit- 
gehenden Freiheiten fiir die Bourgeoisie natiirlich nicht 
die Rede sein, genau so wie nicht die Rede sein kann 
von der Gewahrung der Wahlberechtigung fiir die Bour- 
geoisie, und einem Uebergang vom Ratesystem zu einem 
biirgerlich-republikanischen Parlamentarismus. 

Die Partei der Kommunisten (Bolschewiki) wird von 
alien Seiten mit Schreien der Emporung und manchmal 
audi der Drohung uberhauft: „Ihr unterdrucki Zeitungen, 
Ihr verhaftei, Ihr lost Versammlungen auf, Ihr tretet die 
Wort- und Pressefreiheit mit Fufjen, Ihr stellt die Gewalt- 
herrschaft wieder her, Ihr seid Gewaltmenschen und 
Morder" — und nodi anderes mehr. Gerade diese Frage 
iiber die Freiheiten in der Raterepublik mufs am aus- 
fuhrlichsten betrachtet werden. 






FiiKren wir zunachst ein Beispiel an. Als — no'ch im 
Marz 1917 — die Revolution ausbrach und die Zaren- 
minister (Slurmer, Protopopow und andere) verhaftei 
wurden, hat denn jemand dagegen etwas einzuwenden 
gehabt? Niemand. Und doch bedeuten diese Verhaf- 
lungen, wie alle Verhaftungen uberhaupi, ein Uebertrelen 
der Freiheil der Person. Warum wurde damals 
diese Uebertrefung von jedermann gebilligl? Und warum 
sagen wir audi jetzt: „Ja, es mu&te so gehandelt wer- 
den?" Sehr einfach: darum, weil es sich urn die Ver- 
haftung von schadlichen Gegenrevolutionaren handelte. 
Und in der Revolution mu& man mehr denn je das Gebot 
im Auge behallen: Aufgepafct! Wiirde man nicht auf- 
passen, wiirde man die Ziigel loslassen und die Feinde 
nicht an die Wand quetschen, so waren bald von der 
ganzen Revolution nur nodi kiimmerliche Reste iibrig. 

Ein anderes Beispiel. Zur selben Zeii, als man die 
Sturmers und Goremykins arretierte, unterdriickte man 
audi die Sdiwarzehundertpresse. Das war ja ein offen- 
kundiger Eingriff in die P r e 6 f r e i h e i t. War denn 
ein solcher Eingriff in diese Pressfreiheit richtig? Ge- 
wi& war er richtig. Und kein einziger verniirtftiger Mensch 
wird je bestreifen, da& man genau so handeln mu§te. 
Woher kam das? Es kommt daher, da& zu Revolutions- 
zeiten, wenn es sich urn einen Kampf auf Leben und Tod 
handelt, dem Feinde seine Waffen genommen werden 
miissen. Eine dieser Waffen bildet die Presse. 

Nodi vor der Novemberrevolution wurden in Kiew 
die Vereine der Schwarzen Hundert, wie „Der Doppel- 
adler" und einige andere, verboten. Das war ein Bruch 
der Koalitionsfreiheit. Aber das geschah mit 
Redit, denn die Revolution kann die Freiheit, Vereine 
gegen die Revolution zu organisieren, nicht dulden. 

Als Kornilow gegen Petersburg loszog, da sfreikfe 
eine ganze Reihe von Generalen und weigerte sich, den 

39 






Befehlen der provisorischen Regierung Folge zu leisien. 
Sie erklarten, daft sieKornilow vollkommen unierstiihten. 
Hatte man eine solche Sireikfreiheii der Generate 
unterstiitzen sollen? Es ist klar: diese Streiks der Gene- 
rale von den Schwarzen Hundert muftte man mit den 
strengsten Maftregeln verfolgen. 

Wie ist es also? Wir sehen nun, daft ein Uebertreten 
der Freiheiten gegeniiber den Feinden der Revolution 
absolut geboten ist. Zu Revolutionszeiten kann es keine 
Freiheiten fur die Gegner des Volkes und der Revo- 
lution • geben — das ist ein klarer, unwiderlegbarer 
Schluss. 

Nach dem Marz 1917 und bis zum November 1917 
haben weder die Menschewiki noch die rechtsstehenden 
Sozialrevolutionare, noch die Bourgeoisie behauptet, daft 
im Marz eine „gewaltsame Besitzergreifung" statige- 
funden hatte, daft die Preftfreiheit (der Schwarzen Hun- 
dert) mit Fuften getreten, die Wortfreiheit unterdriickt 
wiirde usw. Sie hatten damals nichts dagegen, weil all 
das die Bourgeoisie tat, die im Marz die Machf an 
sich gerissen hatte: die fierren Gutschkow, Miljukow, 
Rodsjanko, Terestschenko und ihre treuen Diener, die 
Kerenskis und Zeretellis. 

Im November wurde aber alles anders. Im Novem- 
ber traten die Arbeiter g e g e n die Bourgeoisie hervor, 
die seit Marz auf ihrem Nacken saft. Im November wur- 
den die Arbeiter von den Bauern unterstutzt. Selbst- 
verstandlich begann die Bourgeoisie die Arbeiterre- 
volution wild zu hassen und sie treibt diesen ihren wil- 
den Hass genau so weit wie die Gutsbesitzer. Alle Groft- 
eigentiimer haben sich nun gegen die Arbeiterklasse und 
die arme Bauernschaft zusammengetan. Und ebenso 
selbstverstandlich ist es, daft, wenn das Volk seine 
Feinde test anpacki, diese in machtloser Wut „Expropria- 
teure", „Gewaltmenschen" usw. rufen. 
40 



Den Arbeitern und den Bauern isi jefet das eine 
klar. Die Partei der Kommunisten fordert keinerlei 
Freiheiten (des Wories, der Presse, der Versammlungen 
und Vereine usw.) fiir die biirgerlichen Feinde 
desVolkes. Im Gegenteil. Sie fordert die stete Be- 
reitschaft, die biirgerliche Presse zu unterdriicken, die 
Versammlungen der Volksfeinde aufzulosen und ihnen 
zu verbieten zu lligen, verlaumden und Panik zu ver- 
breiten; alle ihre Versuche, zur Macht zuriick zu gelangen, 
miissen aufs seharfste unterdriickt werden. Gerade darin 
besteht die Diktatur defl Proletariats. 

Wenn also von der Presse die Rede ist, so fragen 
wir vor allem, von welch er Presse man rede: der biirger- 
lichen oder Arbeiterpresse; wenn von Versammlungen 
die Rede ist, fragen wir, von welchen Versammlungen die 
Rede sei: von Arbeiterversammlungen oder von gegen- 
revolutionaren Versammlungen; wenn man die Frage des 
Streiks beruhrt, so kommt fiir uns vorderhand in Be- 
trachi, ob es sich um einen Streik der Arbeiter gegen 
die Kapitalisten oder eine Sabotage der Bourgeoisie 
oder der biirgerlichen Intellektuellen gegen das Prole- 
tariat handele. Wer diese Dinge nicht auseinanderhalt, 
der versteht gar nichts! Presse, Versammlungen, Ver* 
eine und so weiter sind Werkzeuge des Klassenkampfes, 
und in einer revolutionaren Epoche, zu Revolutionszeiten 
bilden sie Werkzeuge des Biirgerkrieges, genau so wie 
die Waffenlager, die Maschinengewehre, das Pulver und 
die Bomben. Die ganze Frage besteht nur darin, von 
welcher Klasse und gegen welche Klassc sie angewandt 
werden. Die Arbeiterrevolution kann keine Freiheiten 
dazu gewahren, damit Aufstande gegen die werktatigen 
Massen organisiert werden, wie die eines Kornilow, 
Dutow oder Miljukow. Eben so wenig kann sie eine 
vollkommene Freiheit der Organisation, des Wortes, der 
Presse und der Versammlungen den contre-revolutio- 

41 



naren Banden gewahren, die mit der grd&ten Erbitterung 
ihre Politik weiter verfolgen, und nur auf die passende 
Oelegenheit warien, urn sich auf die Arbeiter und die 
Bauern zu stiirzen. 

Wir haben bereils gesehen, da| wenn die Rechts- 
Soeialrevoluiionare und die Menschewiki die Konstitu- 
ierende Versammlung zu ihrer Devise machen, sie sich 
urn Stimmen fiir die B o u r g e o i s i e kiimmern. Ebenso 
meinen sie die Freiheiien der Bourgeoisie, wenn sie 
wie wild von der Vernidhtung und Aufhebung der Frei- 
heiien iiberhaupt schreien. Man moge die burgerliche 
Presse, die Fiihrer des Biirgertums und die gegenrevo- 
lutionaren biirgerlichen Organisationen nicht anriihren 
— das ist in Wirklichkeit die Stellung dieser Herren. 

Ihr habt doch aber auch die Zeitungen der Mensche- 
wiki und der Sozialrevolutionare unierdriicki, — wird 
man uns sagen; — die Kommunisiische Partei hat mehr- 
mals angesehene Personlichkeiten angeiastet, die seiner 
Zeit, unter dem Zaren, in den Gefangnissen schmach- 
teten. Was soil das also? — Diese Frage lassl sich durch 
eine andere Frage beantworlen: als der RechlsrSozial- 
revolutionar Hotz den Aufsland der Fahnriche und der 
Offiziere gegen die Soldaten und die Arbeiter organi- 
sierte, — nun, hatte man ihm da das Kopfchen streicheln 
sollen? Als der Rechts-Sozialrevolutionar Rudnew zu- 
sammen mit dem Rechts-Sozialrevolutionar Rjabzew im 
November die Moskauer wei&e Garde, die burgerliche 
Muttersohnchen, die Hausbesitzer, noch andere Herr- 
chen, die ganze goldene Jugend bewaffnete und diese 
beiden gemeinsam mit den Offizieren und den Fahnrichen 
bemiiht waren, den Novemberaufstand der Arbeiter und 
der Soldaten mit Maschinengewehren zu unterdriicken 
und in Blut zu ertranken — hatte man ihnen dafiir etwa 
einen Orden um den Hals hangen sollen? Als die Zei- 
tung der Menschewiki „Wperjod" (,,Vorwarts", aber 
42 



eigentlich hatte sie „Nasad", „Ruckwarts" heifcen 
miissen} und das sozialrevolutionare Organ „Trud" 
(„Arbeit") im wildesten Augenblick des Kampfes den 
Moskauer Arbeitern vorlogen, Kerenski hatte Petersburg 
eingenommen (und das taten sie, um den Willen der 
Arbeiter zu zersplittern) — nun, hatlen derartige Provo- 
kationsstiickdien belobt werden sollen? 

Was folgt aus alledem? Daraus folgt, daft wenn die 
sozialverraterischen Agitatoren und die sozialverrate- 
rischen Organe gar allzu eifrig der Bourgeoisie zu die- 
nen beginnen, wenn sie in ihrem Auftreien sich tatsachlich 
nicht mehr von den Progromleuten der Kadetten und der 
Schwarzen Hundert unterscheiden, daft man dann gegen 
sie genau dieselben Maftnahmen anwenden kann und 
muft, wie gegen ihre vielgeliebten Herren und Wohltater. 
Heutzutage gibt es viele Herren, die gegen den Zaren 
und die Gutsbesitzer kampften, die aber Zeter und 
Mordio schreien, wenn die Arbeiter die Giiter der Bour- 
geoisie antasten. Fur alles Vergangene sei ihnen Dank 
gesagt. Wenn sie sich aber in der Gegenwart durch 
nichts von den Schwarzen Hundert unterscheiden — dann 
sollten sie sich audi nicht beklagen, daft ihnen Unrechl 
geschehe. 

Brauchen also die Bourgeoisie und alle Feinde des 
Proletariats und der armen Bauemschaft einen Ziigel, so 
ist dern Proletariat und der Bauemschaft selbst eine 
vdllige Freiheit des Wortes, der Vereine, der Presse usw. 
zu sichern, und zwar nicht in Worien nur, sondern in der 
Tat. Niemals, bei keiner Staatsverfassung, gab es je so 
viele Bauern- und Arbeiter-Organisationen wie jetzt 
unter der Rateregierung in Ruftland. Noch niemals unter- 
stiikte der Staat die zahlreichen Arbeiter- und Bauern- 
organisationen so wie die Rateregierung in unsern 
Tagen. Das geschieht aus dem einfachen Grunde, weil 
Hie Rntereniernnn die Renierunn der Arbeiter und 

4^ 



Bauern selbsf isi, und es ist selbstverstandlich, dajs eine 
solche Regierung die anderen Organisationen der Ar- 
beiterklasse fordert — so weit sie es nur kann, so weif 
sie dazu Kraffe und Mittel hat. Und die Kommunisten — 
wiederholen wir — verwirklichen diese Freiheifen 
in der Tat und verkiinden sie nicht etwa der Welt nur 
mit dem Mund. Ein kleines Beispiel: die Freiheit der 
Arbeiterpresse. Unter dem Ansturm der Arbeiterklasse 
hatte sich audi der Bourgeois schon zu einem grosseren 
oder minderen Grad der Freiheit der Arbeiterpresse be- 
guemt. Doch die Arbeiter verfiigen iiber keine Mittel. 
Die Druckereien sind alle in den Handen der Kapita- 
listen. Auch das Papier ist in den Handen der Kapita- 
listen, die alles aufgekauft hatten. So geht der Arbeiter 
mil seiner Pressfreiheit herum, kann aber diese Freiheit 
nicht verwirklichen. Da maclien sich die Kommunisten an 
die Herren Besitzer der Druckereien und des Papiers 
heran und sagen zu ihnen: Der proletarische Staat kon- 
fisziert eure Druckereien, erklart sie als Eigentum des 
Arbeiter- und Bauernstaates und stellt sie den Genossen, 
den Arbeitern zur Verfiigung — mdgen sie nun ihre 
Pressfreiheit verwirklichen! — Natiirlich jammern die 
Herren Kapitalisten dariiber. Aber n u r so kann man eine 
tatsachliche Freiheit der Arbeiterpresse erreichen. 

Noch eine andere Frage konnte wis gestellt werden: 
warum redeten die Bolschewiki nicht friiher von einer 
Aufhebung jeder Freiheit der Bourgeoisie? Warum traten 
sie selbst friiher fiir eine burgerlich-demokratische 
Republik ein? Warum waren sie friiher selber fiir die 
Konstiiuierende Nationalversammlung und lieken nichts 
davon verlauten, dafi der Bourgeoisie das Wahlrecht 
genommen werden musse? Mit einem Wort, warum 
haben sie jetzt in diesen Fragen ihr ganzes Programm 
geandert? 

Sehr einfach. Darum, weil die Arbeiterklasse friiher 
44 



noch nicht die Kraft besessen Katie, die Feste der Bour- 
geoisie zu sturmen. Es bedurfte einer Vorbereitung, 
einer Ansammlung der Krafte der Aufklarung der 
Massen und der Organisation. 

Die Arbeiterklasse bedurfte, zum Beispiel, der 
Prekfreiheit, aber nur filr die A r b e i t e rpresse, ihre 
eigene Presse, nicht fur die ihrer Herren. Aber sie 
konnte nicht zu den Kapitalisten und ihrer Regierung 
kommen und die Forderung aufstellen: Schliefit, Ihr 
Herren Kapitalisten, Eure Zeitungen und lakt unsere 
Zeitungen erscheinen, die Arbeiterzeitungen! — Sie 
hatte sich dadurch nur lacherlich gemacht, denn es ware 
lacherlich, dem Kapitalisten eine solche Forderung zu 
stellen; es ware ungefahr so, als wenn man verlangte, 
dak er sich eigenhandig die Kehle durchschnitte. Solche 
Forderungen stellt man nur dann auf, wenn man daran 
geht, die Feste zu sturmen. Aber fruher war es noch 
nicht so weit. Aus diesem Grunde rief die Arbeiterpartei 
(und auch unsere Partei!: es lebe die Prekfreiheit (der 
g a n z e n Presse, auch der biirgerlichen)! Oder ein 
anderes Beispiel. Fur den Arbeiter sind natiirlich die 
Unternehmerverbande, die Verbande, die die Arbeiter 
aufs Pflaster seken, die schwarzen Listen fiihren usw. f 
von grofjem Schaden. Aber die Arbeiterklasse konnte 
sich nicht hinstellen und sagen: Lost eure Verbande auf, 
griindet Verbande fur uns. Dazu gehdrte, dak die kapa- 
talistische Macht gebrochen wiirde. Aber dazu 
reichten die Krafte noch nicht. Eben aus diesem Grunde 
proklamierte unsere Partei: wir fordern Koalitionsfreiheit 
(ganz allgemein, nicht allein fiir die Arbeiter). 

Nun haben sich die Zeiten geandert. Jekt handelt es 
sich nicht mehr um eine langwierige Vorbereitung zum 
Kampfe; wir erleben jekt den ersten Augenblick nach dem 
Sturm, nach dem ersten groken Sieg iiber die Bourgeoi- 
sie, letzf hat die Arbeiterklasse eine andere groke Auf- 

45 



gabe vor sich: den Widerstand der Bourgeoisie e n d - 
gliltig zu brechen. 

\ Daher mufj die Arbeiterklasse, die im Namen der 
Befreiung der gesamten Menschheit von den Brutalitaten 
und Greueln des Kapitalismus wirkt, muk mit unbeug- 
samer Entschlossenheit diese Aufgabe zu Ende fuhren: 
Keinerlei Zugestandnisse an die Bourgeoisie; voile 
Freiheit und die Mdglichkeit, diese Freiheit zu verwirk- 
lichen — den Arbeitern und den armen Bauern! 

VIII. Die Banken — Gemeinbesih der Arbeitenden! 

(Sozialisierung der Banken) 



Wir sahen bereits, dak die Ursache alien Uebels in 
der kapitalistischen Gesellschaft der Umstand ist, dak 
die gesamten Produklionsmitte) der Gutsbesiker- und 
Kapitalislenklasse gehdren. 

Wir sahen ferner, dak die Erlosung davon nur auf 
I dem einen Wege erreicht werden kann — auf dem Wege 
der Aushebung dieser Produktionsmittel aus den Han- 
den der Kapilalislenklassen (seien es einzelne Kapita- 
listen, Unlernehmerverbande oder der biirgerliche 
Staat) und der Uebergabe dieser Produktionsmittel in 
die Hande der werktatigen Massen. 

Naturlich muk dieser Weg so beschritten werden, dak 
zu allererst dem Kapital die wichtigsten und machtigsten 
Gebiete entrissen, dak vor allem die wesentlichsten dko- 
nomischen Festungen des Kapitals eingenommen werden. 
Ferner muk man den Anfang damit machen, was sich am 
leichtesfen nicht allein nehmen, sondern auch organi- 
sieren, der Kontrolle und der Berechnung unterwerfen und 
sich so einrichten lasst, dak es moglichst glatt geht. Wir 
wissen ja, dak die Aufgabe der Arbeiterklasse und der 
armen Bauern nicht etwa dan'n besteht, den reichen 
Letlfen alios ab/unehmcn and das Abgenommene auf 
46 



die eigenen Taschen zu verteilen, etwa zu rauben und 
zu teilen, sondern darin, eine Arbeitsgemeinschaft zu 
schaffen, die planmassig arbeitet und die Produktion so- 
wie ihre Verteilung organisiert. Daraus folgt aber, da& 
die Arbeiterklasse sich zu allererst derjenigen Institution 
bemachtigen muk, die sdion friiher, aber zu Heil und 
Frommen der Kapitalisten bestanden, und diese Insti- 
tution nach ihrer eigenen Art ummodeln und sie auf eine 
Basis stellen mufj, da(j sie nicht den Kapitalisten und 
Grundbesitzern, nicht den Schwindlern und Spekulanten 
dienen, sondern dem werktatigen Volke. 

Daher stellt gerade unsere Partei die Forderung der 
Verstaatlichung (in Deutschland sagt man Sozia- 
lisierung) der Banken auf, das heifit, der Uebergabe 
der Banken in die Hande des proletarisch-bauerlichen 
Sfaates (diese Forderung ist bereits verwirklicht). 

Man nimmt gewohnlich an, die ganze Bedeutung 
der Banken bestehe darin, dafc in den Kellern der Bank- 
hauser Berge von Gold und Haufen von Papiergeld und 
Wertpapieren aufgestapelt sind, und da& aus diesem 
Grunde die Kommunisten so Iiistern nach den Banken 
seien. In Wirklichkeit verhalt es sich aber anders. 

Unsrer Tage sind die Banken nicht einfach Geld- 
sacke. Sie sind viel mehr. Namlich: die Banken erscheinen 
als das Organisationshaupt, als die S p i t z e der 
Organisation, von der aus die Industrie 
regiert wird. Wie geschieht das? FoIgenderma|en. 
Die kapitalistischen Industriellen gewinnen unaufhorlich 
Profite, die Kapitalien flie&en ihnen nur so zu, we ein 
unversiegbarer Strom. Wo lagt der Kapitalist seinen 
Gewinn? Einen Teil davon i|t er auf, vertrinkt, ver- 
schwendet er. Einen anderen Teil — den gro&eren — 
hebt er aber auf fur die Erweiterung seines „Geschaftes". 
Aber dieses Geschaft Iafet sich ja nicht in jedem Augen- 
blick erweitern, sondern nur dann, wenn der KaDitalist 

47 



genugend gesparihat, wenn ihm eine Summe zugeflossen 
ist, die groB genug ist, urn zum Beispiel ein neues Fa- 
brikgebaude zu errichten oder neue Maschinen anzu- 
schaffen. So lange das nichi der Fall ist, legl er sein 
Geld, damit es nicht „nuklos" herumliege, auf die Bank 
und erhalt von der Bank bestimmfe Zinsen. 

Nun fragi es sidi: wenn das Kapifal auf der Bank 
liegt — vermehrt es sich d o r t von selbsi? Nein. Die 
Bank sekt dieses Kapital in Belrieb. Enhveder die Bank 
griindel ihre eigenen Uniernehmungen und sfreicht 
ordeniliche Profite ein, oder sie kauft einen Teil der Ak- 
iien (der Anteile) der bereits bestehenden Unternehmen, 
oder aber sie erwirbt Aktien solcher Unternehmen, die 
erst im Entstehen begriffen sind. Auf diese Aktien be- 
kommt sie Zinsen (Dividende), die bedeutend hdher sind, 
als diejenigen Summen, die sie den Einzahlern ihrerseits 
auszahlt. 

Die Differenz bleibt bei der Bank. Diese Differenz 
\vird angehauft und wieder in Befrieb geseki — auf diese 
Weise wachsf das Eigenkapital der. Bank. Je weiter, um 
so mehr werden die Banken die eigentlichen Herren der 
Industrieunternehmen: die einen Unternehmen gehdren 
ihnen ganz, die anderen zum Teil. Die Erfahrung hat ge- 
lehrt, dak man nur 30 bis 40 Prozent aller Aktien zu be- 
siken brauchf, um eigentlich iiber das ganze Unternehmen 
verfugen zu kdnnen. Das ist auch in Wirklichkeit der 
Fall. In Amerika, zum Beispiel, schalten und walten zwei 
Banken iiber die gesamte Industrie. In Deutschland hal- 
ten vier Banken das ganze wirfschaftliche Leben des 
Landes in der Hand. Dasselbe ist bis zu einem gewissen 
Grade auch in Rukland der Fall gewesen. Eine betracht- 
liche Anzahl der grofjen Unternehmen in Rukland be- 
stand aus Akfiengesellschaften. 

Nun aber besaken die russischen Banken einen gro- 
ken Teil der Aktien dieser Unternehmen, so dak die Ak- 
48 „ 

Bie!e!c!t 



liengesellschaften in innigsier Verbindung und in volliger 
Abhangigkeit von den Banken sfanden, sozusagen ihre 
„Hdrigen" waren. Da eine e i n z i g e Bank iiber das 
Schicksal v i e 1 e r Indusirieuniernehmen verfiigt, so ist 
klar, dak d|e groften Banken eigentlidi die ganze In- 
dustrie beherrschen und als das Zentrum gelien diirfen, 
in dem die Faden von einer ganzen Reihe von Unfer- 
nehmen zusammenlaufen. Eben aus. diesem Grund er- 
scheint die Expropriierung der Banken, ihre 
Enthebung aus Privatbesih und Uebergabe an den Ar- 
beiter- und Bauernstaai, oder wie man zu sagen pflegi, 
ihre Verstaailichung (resp. Sozialisierung) als dringendste 
Aufgabe der Arbeiterklasse. Die Bourgeoisie, ihre 
Presse und ihre Agenten haben begreiflicherweise aus 
diesem Anlaft ein enlsehliches Lamento erhoben: „Die 
Bolschewiki sind Rauber! Die Bolsdiewiki sind Diebe! 
Man gestatte nicht, daft die Reichiiimer und die Erspar- 
nisse des Volkes gepllinderi werden!" Aber dieses 
ganze Gejammer war ja nur allzu begreiflidi: die Bour- 
geoisie ahnte, daft die Verslaaflidiung der Banken die 
Uebergabe der Hauptfestung, des Kerns der kapita- 
listisdien Gesellschaft an die vverktatigen Massen be- 
deutete, und daft dieses infolgedessen der erste und eni- 
scheidensie Schrili war zur Zersidrung der Welt des Pro- 
files und der Ausbeutung. Hat nun einmal das Prole- 
tariat seine Hand an die heutigen Banken gelegt, so be- 
deute das audi, daft es bereits in hohem Grade audi die 
Ziigel der Industrie fiihrt. 

Andererseits ist audi leicht zu begreifen, daft o hn e 
die Verstaatlichung der Banken es unmdglidi gewesen 
ware, die Kapitalisten aus den Eabriken und Werken zu 
verdrangen. Die moderne Fabrik hangt von der Bank 
ab: entweder die Bank besikt einfach die ganze Fabrik, 
oder sie besiftt einen Teil der Aktien, oder sie gewahrt 
ihr sonsi Kredit in irgend einer anderen Form. Siellen 

4 49 



wir uns vor, die Arbeiter irgend einer Fabrik haben alles 
unter ihre Kontrolle und Leitung genommen. Wenn die 
betreffende Bank sidi in Privatbesife befindet, der Bour- 
geoisie gehort, dann ist das ganze Unternehmen futsch, 
sobald die Bank erklart, daft sie der Fabrik keinen Kredit 
weiter gewahre. Das ist ungefahr dasselbe, wie wenn 
man eine belagerte Festung von jeder Zufuhr abschnei- 
det. Dann muftten sich die Arbeiter unweigerlich er~ 
geben und beim Unternehmer zu Kreuze krieehen. Da- 
gegen, durch die Verstaatlichung der Banken von Seiten 
der Raieregierung erhalt die Arbeiter- und Bauern- 
regierung die Mbglichkeit, liber die Geldmittel und die 
Wertpapiere, die das Geld ersefeen, frei zu verfiigen, und 
den Uebergang der Industrie zu den werktatigen Klassen 
nicht allein nicht zu verhindern, sondern ihn kraftig zu 
fordern. Die Macht, die in den Handen der Bankiers 
gegen die Arbeiter gerichtet war, wird in diesem Falle 
zur Macht, die sich gegen die Kapitalisten richtet. 
Die weitere Aufgabe besteht wesentlich darin, da& 
die verschiedenen Banken, die friiher Privatbanken 
waren, zu einer einzigen Volksbank verschmolzen 
werden, die Tatigkeit der Banken vereinigt, oder wie 
man zu sagen pf legt, das Bankwesen zentrali- 
s i e r t werde. Beim Uebergang der Industrie an die Ar- 
beiterklasse miifete sich dann die Volksbank in eine Art 
Kontobuch verwandeln, in eine Institution, die unter den 
einzelnen Unternehmen und den einzelnen Produktions- 
zweigen die gegenseitigen ..Abrechnungen" besorgte. 
In der Tat. Gesehi\ von der Zentralbank hange die 
Kohlen-, die Stahl*' und die Eisenindustrie ab. Jede die- 
ser Industrien braucht Produkie der anderen: die Stahl- 
gie|ereien miissen aus den Kohlenbergwerken Kohle be- 
ziehen; die Siahlwerke, die den Stahl bearbeiten, er- 
halten diesen StaW erst von den StahlgieSereien, und so 
fort. Und hanflcn alle diese Unternehmen volkommon 
30. 



von der Bank ab, so konnen naturlich „Auszahlungen" 
durch eine einfache Uebertragung der Rechnungen ge- 
schehen; die Bank wird sozusagen zum Verrechnungs- 
bureau, zur zentralen Buchfuhrungsstelle, an der die Be- 
ziehungen zwischen den verschiedenen Unternehmen und 
den verschiedenen Betrieben klar zum Vorschein ireten. 
Im Einklang mit diesen Beziehungen wird die Industrie 
von der Bank unterstiifet (finanziert) und mit Oeldmitteln 
versorgt. 

Lefjten Endes, wenn es uns gelingen sollie, das 
ganze Wirtschaftsleben zu organisieren (und danach 
strebt ja unsere Partei und die Rateregierung, an deren 
Spifee unsere Partei steht), wird man folgendes Bild er- 
halten: alle Gebiete der Produktion gehoren dem werk- 
tatigen Arbeitsstaat und sind durch die zenirale Volks- 
bank verkniipft; hier laufen alle Faden der Einzelunter- 
nehmen zusammen, nach Indusiriezweigen vereinigt; die 
Bank besorgt die genaue Abrechnung dieser Unterneh- 
,men und aller Operationen unter ihnen, die sich gegen- 
seitig decken, da der eine Produktionszweig dem an- 
deren das Material liefert; die Bank, dieses Kontobuch 
der gesellschaftlichen Produktion, gibt also ein Bild von 
der allgemeinen Lage der Produktion und dem Verhalt- 
nis ihrer verschiedenen Teile zueinander. Das zentra- 
lisierte und verstaatlichte (resp. sozialisierte) Bank- 
wesen (das vereinhehiicht isi und sich im Besib der Ar- 
beiter- und Bauernregierung befindet) verwandelt sicli 
in eine Art offentlicher Buchfiihrung der 
sozialistisch-genossenschaftlichen Pro- 
duktion. 

IX. Die GroSindusirie — der Arbeiierklasse! 
(Sozialisierung der Industrie.) 

Der bedeutendste Schriit auf dem Wege der Em- 

hebung der Produktion den Handen der Ausbeuter ist, 

*' 51 



wie wir gesehen Haben, die proleiarische Verstaai- 
lichung fresp. Sozialisierung) der Banken. Aber daraus 
ware noch nichi viel Gutes entslanden, wenn an den 
Arbeitsstatten, in den Fabriken und Werken die Kapita- 
listen ihre Herrschaif und ihr Eigentumsrechi, sei es 
auch nur iiber jenen Teil der Grokindustrie, der den 
Banken nicht unmittelbar gehbrt, beibehalten hatien. 
Diese Uniernehmen wiirden die Geldmittel aus der Bank 
beziehen, und die Herren Kapitalisten wiirden ihre Ar~ 
beiier weiter ruhig ausbeuten und sich noch dazu aller- 
hand Hilfsgelder aus Staatsmitieln erbefteln, 'urn sie 
wer weik wozu zu verwenden. Der Uebergang zur 
kommunistischen Gesellsdiaftsordnung ist ohne die 
Verstaaflichung der Banken undenkbar, aber ebenso 
undenkbar ist dieser Uebergang auch ohne die Soziali- 
sierung der Grokindustrie. 

Auch hierin verfahrt die Arbeiierklasse und unsere 
Partei so, dak nicht allein das Alte zertrummert, den 
Kapitalisten das VerfligungsrecM iiber die Produktion 
entrissen, sondern auch neue Verhaltnisse geschaffen 
werden sollen. Die Sozialisierung der Industrie mufc 
deshalb mit dem Grokbelrieb und in erster Linie mit den 
sogenannten syndizierten Industriezweigen be- 
ginnen. 

Was heifct syndizierte (zu Syndikaten vereinigte) 
Industrie? Syndikate, das sind die groken Unter- 
nehmerverbande; sehen die Besifeer einiger Unter- 
nehmen, dak es ihnen nicht lohnt, einander die Kund- 
schaft abzutreiben, und es vorteilhafter ist, zur gemein- 
samen Uebervorteilung des Publikums eine enge Ver- 
bindung miteinander einzugehen, dann organisieren sie 
ein Syndikat, oder einen noch engeren Fabrikantenver- 
band, einen Trust. Sind die Unternehmer zu solchen 
Verbanden nicht zusammengeschlossen, so driicken sie 
32 



sich gegenseitig die Preise: Jeder will seinen Konkur- 
renien den Kunden abjagen, und das kann er nur da- 
durch erreichen, daft er billiger verkaufi als der andere; 
halt der andere nichi stand, so geht er zugrunde. Dieser 
Kampf zwischen den groftten Unternehmern fiihrt dazu, 
daft die kleinen Fische im Teicli des Kapitalismus den 
Kampf nicht aushalten und untergehen; allein die groften 
Haie des Kapitals, die reiehsten Unternehmer, behaup- 
fen den Plak und bleiben Sieger. Sehen wir nun vor- 
aus, daft in irgendeinem Indusiriezweig (sagen wir, in 
der Metallindustrie) die drei, vier groftten Firmen blei- 
ben. 1st die eine von ihnen starker als die anderen, so 
wird sie so lang den Kampf weiterfuhren, bis sie die 
anderen kaput gemacht hat. Wie aber, wenn ihre Krafte 
ungefahr gleich stark sind? Dann ist offenbar ein ge- 
gegenseitiges Ringen fruchtlos, denn es wurde in 
gleichem Make alle Konkurrenten erschopfen. Und da 
entstehf bei ihnen das Bestreben, miteinanoer eine Ab- 
machung zu treffen: Sie organisieren einen Verband 
dieser Unternehmen und machen unter einander aus, 
dak sie ihre Ware nicht unter diesem und diesem Preis 
verkaufen diirfen; sie verteilen die Bestellungen unter- 
einander und weisen der einen Firma dieses Gebiet, der 
anderen Firma ein anderes Gebiet an, kurz, sie teilen 
die Absakmarkte friedlich untereinander. Da alle am 
Syndikat teilnehmenden Firmen gewdhnlich mehr als die 
Halfte der gesamten Produktion des betreffenden In- 
dustriezweiges liefern, so bedeutet das soviel, dak das 
Syndikat allein den Markt beherrscht und die Syndikat- 
teilnehmer beliebig hohe Preise verlangen und ihre 
Landsleute nach Gutdiinken schropfen diirfen. Sobald 
sie jedoch in Verbindung miteinander getreten sind, 
miissen sie naiiirlicherweise fiir die friiher getrennten 
Unternehmen eine gemeinsame Verwaltung schaffen, 

5? 



ft 



eine gemeinsame genaue Slaiistik der erzeugten Pro- 
dukte fiihren, die Verteilung der Bestellungen regu- 
lieren, kurz, die Produktion o r g a n i s i e ren. Nicht 
zum Wohl des Volkes, nichl damit das Volk mehr davon 
habe, sondern der Profifmacherei zuliebe, damit die Ar- 
beiter besser geschunden und die Kaufer 'mehr ge- 
schrdpft werden — zu diesem Zwecke allein bilden die 
Kapitalisten ihre Verbande. 

Nun ist begreiflich, warum die Arbeiterklasse zu 
allerersl die bis dahin syndizierten Produktionsgebiete 
sozialisieren mu&. Darum, weil diese von den Kapita- 
listen selbst organisiert worden sind. Eine geordnete 
Produktion — audi wenn die Herren Kapitalisten diese 
selbst organisiert haben mogen — ist leichter zu be- 
waltigen. Natiirlich miissen die kapitalistischen Orga- 
nisationen umgemodelt werden: Die verstocktesten 
Feinde der Arbeiterklasse miissen herausgeworfen und 
den Arbeitern mug ein fester Halt gesichert werden, da- 
mit sich alles den Arbeitern fiige; manches wird ver- 
nichtet werden miissen. Aber selbst einem kleinen 
Kinde mulj es einleuchten, da| es leichter ist, sich der- 
artiger Industriezweige zu bemachtigen. Es verhalt sich 
damit genau so, wie mit den Staatseisenbahnen: sie 
sind vom biirgerlichen Staat bereits organisiert worden, 
und doch, gerade deshalb, weil da eine zentralisierle 
Verwaltung, eine Organisation vorhanden war, 
hat es audi der proletarische Staat viel leichter, sie in 
seine Gewalt zu bekommen. 

In Westeuropa (und ganz besonders in Deutsch- 
land) und den Vereinigten Staaten Amerikas wurde 
wahrend des Krieges fast die gesamte Produktion von 
dem biirgerlichen Raubstaat iibernommen. Die Bour- 
geoisie ist dort zur Ueberzeugung gelangt, da& sie nur 
dann siegen kann, wenn der morderische Krieg nach 
54 



den lefeten Errungenschafien der Wissenschaft ge- 
fiihrt wird. Der moderne Krieg verlangt nicht allein 
Geld, Geld und wieder Geld, sondern fordert auch, dajj 
die gesamle Produktion zu den Zwecken des Krieges 
organisiert sei, dak alles einer strengen statistischen 
Konirolle unterliege, dafj nichts Ueberfliissiges ausge- 
geben und alle Krafte zweckmafjig verteilt werden. 
Und das ist nur bei einer zentralisierten, vereinigien 
Leitung moglich. Die Bourgeoisie West-Europas hat 
das erreichi, indem sie fast ihre Gesamt-Produktion 
ihrem Raubstaate uberlassen hatte. Freilich ist da die 
organisierte Produktion nicht dazu organisiert, um der 
Arbeiterklasse Nuken zu bringen, sondern nur, um die 
rauberische Kriegfiihrung zu ermoglichen und der Bour- 
geoisie Kriegsgewinne abzuwerfen. Es ist also nichi ver- 
wunderlich, dak an der Spike dieses organisierten 
Zuchthauses Generate, Bankiere und andere groke Aus- 
beuter stehen. Auch nicht verwunderlich ist ferner, da& 
die Arbeiterklasse dort unterdriickt, der Arbeiter in 
einen Sklaven, einen Leibeigenen verwandelt ist. An- 
dererseits aber, wenn die Arbeiterklasse dort die biir- 
gerliche Staatsmaschine zersclilagen haben wird, wird 
sie mit Leichtigkeit die Produktion an sich rei|en und 
sie auf eine neue Basis stellen konnen; sie wird die Ge- 
nerale und Bankiers davon jagen und iiberall zuver- 
iassige Leute einseken miissen; jedoch wird man den 
Riesenapparat der Berechnung, der Kontrolle und der 
Verwaltung, der vom Kapitalismus bereits geschaffen 
worden ist, verwerten konnen. Aus diesem Grunde 
hat es das westeuropaische Proletariat tausendmai 
schwerer, anzufangen (den festgefiigten biirger- 
lichen Staat zu zerstorenl, wird es aber auch leichier 
haben, zu vollenden und zwar an Hand der von der 
Bourgeoisie organisierten Produktion. 

■>5 



Die russisch'e Bourgeoisie, die iHre Macht wanken 
und das Proletariat sich dem Siege nahern sah, scheuie 
sich entschieden, den Weg zu beschreiten, den die west- 
europaische Bourgeoisie eingeschlagen hatte. Sie be- 
griff wohl, dak zugleich mit der Staatsgewalt audi die 
gut funktionierende Produkiion an das Proletariat Liber- 
geher miisse. Deshalb vemachlassigte sie nidii allein 
die Fragen der Organisation, sondern war gar um einen 
Zerfall der Industrie bemuht, oder, wie unter Kerenski, 
sie sabottierte (schadigte) die Produktion. 

Es sei jedoch bemerkt, dak in Rukland schon vor 
dem Kriege, zuro Teil unter dem Einflusse des auslandi- 
sdien Kapitals, die wichtigen Industriezweige bereits 
syndiziert war en. Besonders muk das von der Schwer- 
industrie bemerkt werden (Steinkohle, Metallurgie usw.). 
Die bekannten Syndikate in Rukland waren: „Prodamet", 
„Produgol", Prodwagon" und andere mehr. Vor allem 
muk die Schwerindustrie verstaatlicht werden (das ge- 
schieht audi, die Beiriebe des Ural werden fast durch-r 
wegs verstaatlicht), und darauf die ganze G r o k - 
Industrie iiberhaupt. Mit dem Uebergang der Grok- 
industrie in die Hande des Arbeiterstaates wird zugleich 
audi die Kleinindustrie in Abhangigkeit von ihm ge- 
raten. Audi schon vor der Verstaatlichung hingen viele 
Kleinbetriebe von den Grokbetrieben ab. Es kommi 
vor, dak sie als bloke Reparaturwerkstatten fur die 
Grokbetriebe dienen; in anderen Fallen sefeen sie ihre 
Produkte bei dem Grokbefrieb ab; dann wiederum sind 
sie vom Grokbetrieb abhangig als Kaufer des Roh- 
materials, oder sie sind von den Banken abhangig usw. 
Mit der Verstaatlichung der Banken und der Grok-In- 
dustrie sind audi die Kleinbetriebe mehr oder weniger 
von den sozialisierten Betrieben abhangig. Freilich 
bleiben nodi eine Unmenge von Zwergbetrieben, Heim- 
56 



arbeitern usw. ubrig. Ihrer gibt es in Rutland eine sehr 
sehr groke Anzahl. Die Grundlage unserer Industrie 
bilden jedoch nicht die Heimarbeiter, sondern die Grok- 
betriebe, und von einer Verstaatlichung dieser Gro&- 
betriebe von seiien des Arbeitersiaafes wird sich das 
Kapital nicht mehr erholen konnen. Die beiden Haupi- 
siuken des Kapitals sind die Banken und die Grog-In- 
dustrie. Ihre Besikergreifung durch die Arbeiterklasse, 
durch die Arbeiterregierung, bedeutet das Ende des Ka- 
pitalismus und den Anfang des Sozialismus. Die Pro- 
duktionsmittel — diese Hauptstuken der menschlidien 
Existenz — werden einem Hauflein von Ausbeuiern ge- 
nommen und der Arbeiterklasse, der Arbeiter- und 
Bauernregierung iibertragen. 

Die Mensdiewiki und die Rechls-Sozialrevolutio- 
nare, die keinen | Schritt vom Kapiialismus weichen 
mochten und Hand in Hand mit der Bourgeoisie mar- 
schieren, lehnen sich eniseklich gegen alle Verstaat- 
lichungen von seiien der Rateregierung auf. Das 
kommt daher, dak sie genau so wie die Bourgeoisie 
wohl ahnen, dak die kapitalistische Ordnung, die ihnen 
so lieb und angenehm ist, dadurch ins Herz getroffen 
wird. Dabei aber reden sie den Arbeitern vor, wir seien 
firr den Sozialismus noch „nichi reif", wir hatten eine 
riickslandige Industrie, die sich nicht organisieren lieke, 
usw. Wir haben aber gesehen, dak es sich keineswegs 
so verhalt. Die Riickstandigkeit Ruklands besteht nicht 
darin, dak unsere Industrie wenig Grokbetriebe habe, 
im Gegenteil, wir haben ihrer sehr viele. Unsere Riick- 
standigkeit besteht darin, dak unsere g e s a m t e In- 
dustrie in Vergleich mit der Landwirtschaft zu wenig 
Raum einnimmi. Aber man dart die Bedeutung unserer 
Industrie auch nicht unterschafeen: fiihrt ja die Arbeiter- 
klasse alle Lebenskrafte der Revolution mit sich. 

57 



Interessanf isi ferner folgender Umstand. Die 
Herren Menschewiki und die Rechls-Sozialrevolutionare 
haben ihrerseits, als sie und die Bourgeoisie noch die 
Macht besafjen, das Programm der staatlichen Regu- 
lierung der Industrie aufgestellt. Damals jammerten sie 
nidit iiber unsere Riickstandigkeit. Damals hielten sie 
eine Organisation der einheimischen Industrie fur mog- 
lidij Was hei§t das? Sehr einfach. Die Menschewiki 
und die Rechts-Sozialrevolutionare halten es fur not- 
wendig, dag die Produktion vom biirgerlichen 
Staat organisiert werde (in Westeuropa ist damit sowohl 
Kaiser Wilhelm, wie Kdnig Georg oder in Amerika Pre- 
sident Wilson einverstanden); die Kommunistenpartei 
strebt dagegen an, daft die Produktion vom p r o 1 e t a - 
r i s ch e n Staat organisiert werde. Der Wik ist hochst 
einfach. Immer die alte Geschichie: Die Menschewiki 
und die Sozialrevolutionare streben ruckwarts, zum Ka- 
pitalismus hin, die Kommunisten aber — vorwarts, zum 
Kommunismus und Sozialismus. Als wichtigster Schriit 
auf diesem Wege mug die Verstaatlichung der Banken 
und der Grofcinduslrie betrachtet werden. 

X. Gesellschaftliche Bearbeitung des 
narionalen Bodens. 

Die Oktoberrevolution hat das erreicht, was die 
russischen Bauern durch Jahrhunderte hindurch an- 
strebten: sie entrife das Land den Grundbesifeern und 
iibertrug es den Bauern. Die Frage ist jefet nur die, 
was mit diesem Lande geschehen solle. Und auch hierin 
miissen wir Kommunisten dieselbe Stellung einnehmen, 
wie in der Frage der allgemeinen Teilung der Industrie- 
betriebe. Der Grund und Boden lafct sich natiirlidi 
teilen, im Gegensab zur Fabrik. Was haite man aber 
58 



von der Teilung des Landes in Privatgrundsriicke, von 
der Verteilung des Landes unter die einzelnen Bauern? 
Die Folge ware, dag derjenige, der hiibsche Ersparnisse 
hatte, der machtiger und reicher als die anderen ware, 
sich schnell „herausgemacht" hatte, sich bald zum Dorf- 
nmchtigen und Wucherer emporgewickelt hatte und dann 
noch weiter hinauf ginge, indem er den Aermeren ihren 
1 andanieil abkaufen wiirde. Und sieh da, nach kurzer 
Zeit ware das Dorf wieder eingeteilt in Gro&grund- 
besiher einerseiis und arme Schlucker andererseits, 
denen das eine iibrig bliebe: sich beim Dorfreichen zu 
verdingen oder nach der Stadt zu Ziehen. Freilich hatie 
man einen neuen Schlag von Grundbesikern erhalten: 
Nicht Adelige, sondern reich gewordene Bauern — der 
Unierschied ware aber nicht grok. Der reich gewordene 
Bauer ist ein ebensolcher Blutsauger und sikt der armen 
Dorfbevdlkerung noch fester auf dem Nacken als der 
degenerierte Edelmann, der sich auf absteigendem Asi 
befindet und nichts mehr taugt. 

Durch einfache Teilung ist also kein Ausweg zu 
finden. Diesen Ausweg finden wir lediglich in der Ver- 
gesellschaftung, Nafionalisierung des Grund 
und Bodens, darin, dak der Grund und Boden zum Ge- 
rneingut (Nationalgut) aller Arbeitenden erklart wird. 
Die Raferegierung hat das Gesek der Sozialisierung 
des Grund und Bodens bereits durchgefiihrt; die Grund- 
besifeer sind in der Tat vom Lande verdrangt. Das Land 
wurde zum Gemeingut des werktaiigen Volkes. 

Aber das allein geniigt nicht. Wir miissen zu einer 
solchen Ordnung streben, dafj das Land nicht allein der 
Gesamtheit gehdre, sondern auch von der Gesamtheit 
bearbeilet werde. 1st diese genossenschaftlidie 
Bodenbearbeitung nicht da, so ist, alien Sozialisierungs- 
geseben zum Spott, alle Liebesmiih verloren. Der eine 



wird auf seinem Anfeil buddeln, der andere auf dem 
seinigen; und wenn sie so, jeder fur sich, ohne gegen- 
seiiige Hilfe und ( ohne gemeinschaftliche Arbeit leben 
werden, werden sie nach und nach den Grund und Boden 
als ihren Privatbesife zu betrachien anfangen. Und 
keinerlei Geseke von oben herab werden etwas dabei 
ausrichten. Gemeinschaftliche Bearbeitung 
des Landes — das ist der Zustand, den wir anstreben, 
den wir erreichen miissen. 

In der Landwirtschaft lafct sich genau so wie in der 
Industrie die Produktion am besten in Grofcbetrieben 
leiten. Im Grofcbetriebe kann man gute landwirtschaft- 
liche Masdiinen anwenden, allerhand Material sparen, 
die Arbeit selbst nach einheitlichen Planen lenken, jedert 
Arbeiter auf seinen richtigen Plah stellen und eine ge- 
naue Berechnung durchiuhren, um weder Kraft noch Ma- 
terial zu vergeuden. Die Aufgabe besteht also keines- 
wegs darin, dag jeder einzelne Bauer auf seinem 
Grundstiick herumkrabble, wie der Mistkafer in seinem 
Misthaufen, sondern darin, dak die armen Bauern zu ge- 
meinschafilicher Arbeit in mdglichst groken Behieben 
iibergeleitet werden. 

Wie kann das erreicht werden? Das kann und mufc 
nuf zwei Wegen geschehen: erstens durch ge- 
nossenschaf tli che Bearbeiiung der frii- 
heren groBen Giiter der Gutsb esi tz er ; 
und zweitens durch Schaffung von land- 
wirtschaftlichen Arbeitskommunen. 

Auf den friiheren Giitern, die das Land nicht ver- 
pachteten, sondern selbst bewirtschafteten, wurde die 
Wirtschafi naturlich zehnmal besser gefiihrt als die 
Bauernwirlsehaften. Das Schlimme daran war nur, dak 
die Einnahmen in die Taschen der Gutsbesifeer flossen, 
die den Bauern auf dem Nacken safjen. Fiir die Kom- 
60 



munisten ist klar: genau so wie die Arbeiier nicht das 
Fabrikinveniar pliindern, die Fabrik nicht unter sich ieilen 
und sie zugrunde richten diirfen, genau so miissen audi 
die Bauern verfahren. Auf den Herrengiitern findet 
man zuweilen recht viel Inventar: Pferde, Vieh, aller- 
hand Pflugwerkzeuge, Samenvorrate, mandimal audi 
Mah- und Sdinittmaschinen, usw. Manche Giiier be- 
ireiben Milchwirtschaft, haben Kasereien, besiken ganze 
Betriebsanlagen. Es ware dumm, wollte man all das in 
Stiicke reiken und auspliindern. Daran waren allein die 
Dorfwudierer interessiert: sie wissen wohl, dak friiher 
oder spaler alles in ihre fiande geraten, die armen 
Bauern ihren Teil bald losschlagen wiirden. Der Dorf- 
wudierer weik, was bei einer T e i 1 u n g fur ihn heraus- 
sdiauen wiirde, und er lacht sich ins Faustchen. Ein 
ganz anderes Inieresse haben dagegen die armen 
Bauern, die Halbprolelarier, diejenigen, die sich kaum 
iiber Wasser halten und sidi verdingen miissen. Fur die 
arme Dorfbevblkerung ist es taussendmal vorteilhafter, 
mit den groken Glitern genau so zu verfahren, wie die 
Arbeiter mit den Fabriken verfahren, das heikt, sie unter 
ihre Kontrolle, Abrechnung und Verwaltung zu iiber- 
nehmen, das friihere Land des Guisbesifeers gemein- 
schaftlich zu bearbeiten; nicht in Einzelgehofte zu zer- 
reiken und alle Maschinen und das Inventar, die friiher 
dem Gutsbesiker gehorten, jekt aber an die Bauern 
iibergegangen sind, gemeinsam zu benuken! Die Kom- 
mune muk gelernte Landwirte und Fadileute anstellen, 
damit das Land nicht auf lappische Weise bestellt werde, 
damit der Boden nicht weniger trage als fur den Guts- 
besiker, sondern eher noch mehr. Das Land an sidi 
reiken, ist nicht schwer. Die Giiter zu enteignen, envies 
sich ebenfalls als nicht schwer. Das mu|te audi ge- 
sdiehen. So sehr die Menschewiki und Sozialrevolutio- 

61 



nare auch davon abriefen (es sei gesehwidrig, es wiirde 
nichts dabei herauskommen, in jedem Dorfe wiirde ein. 
Biutbad entstehen, und anderes mehr), so nahmen doch 
die Bauern das Land, und die Raieregierung half ihnen 
dabei. Viel schwerer ist es aber, das Land den werk- 
taijgen Massen zu erhalten und es vor den Dorfaus- 
beuiern zu bewahren, die sich darauf spiken. Das mujj 
sidi der arme Dorfbewohner einpragen, dafj er iiber die 
Unaniastbarkeii des geseHschafililchen Guies scliarf zu 
wachen habe. Das ehemalige Grundbesifeergut isi ja 
nun gesellschaftliches Gut CNaiionalgui). Es mu& ge- 
huiei, bewahri werden wie ein kosibares Kleinod. Zu 
Nuk und Frommen aller Arbeitenden soil dieses Gut ge- 
mehri werden. Die Sache mufe so organisiert werden, 
da& die Vertrauensmanner der armeA Dorfbevblkerung 
und der Arbeiter alles leiten, nichts umkommen lassen 
und die gesellschaftliche Bearbeitung der frliheren Guts- 
besiberlandereien auf jede Weise fordern. Je besser 
die genossenschafiliche Produktion auf diesen Giiiern 
eingerichtet sein wird, um so besser! Das heifet so viel, 
dafj das Getreide besser gedeihen wird, die Wucherer 
mil leeren Handen ausgehen ; und die Bauern immer 
mehr Iernen werden, gemeinschafflich zu arbeiten — 
und dies ist im Kommunismus von allerhochster \Vichtig- 
keit. 

Aber es sollen nicht allein die friiheren Gliter un- 
geteilt bleiben, um auf neuer Grundlage bewirtschaftet 
zu werden. Es mu& danach gestrebt werden, da& aus 
den kleinen Arbejieranteilen landwirtschaftliche 
Arbeitskommunen mit Grogbetrieb ge- 
schaffen werden. ]ekt befindet sich ja die Regierungs- 
gewalt in den Handen der Arbeiter und der Bauern 
selbsi. Das bedeuiei also, dafj die Regierung jedes gute 
Vorhaben fordern wird. Es isi nur noiwendig, dafj die 
62 



armsten Bauern und die Halbproletarier, ebenso wie die 
friiheren Tagelohner mehr Selbstandigkeit, mehr Unier- 
nehmungsgeist und Schopferwillen an den Tag legen. 
Die schwachen und armsten Bauern konnen, jeder 
einzeln, nichts ausrichien; sie wiirden kaum imstande 
sein, sich zu haiten. Sie werden aber sehr viel er- 
reichen konnen, sobald sie ihre Arbeiisanteile .zu ver- 
einigen anfangen, sich gemeinsam — mit Hilfe der 
Siadtarbeiter — Werkzeuge anschaffen und auf diese 
Weise auf genossenschafilicher Grundlage das Land be- 
arbeiten. Die Arbeiier- und Wirtschaftsrate und die 
sonstigen wirlschafilichen Organisationen der stadti- 
schen Arbeiter werden diesen landwirtschaftlichen Ar- 
beitskornmunen helfen und ihnen Eisen- und Textilwaren 
liefern; sie werden ihnen audi bei der Besorgung von 
tuchtigen Fachleuten helfen. Auf diese Art wird das 
arme dumme Bauerlein, das nichi weiter als bis zu 
seinem Gemiisegarten kam, sich nach und nach zu einem 
Genossen verwandeln, der gemeinsam. Hand in Hand, 
Schulter an Schulter mit den anderen Genossen, den 
Weg der gemeinsamen Arbeit im Groijbetrieb vorwarts- 
schreitet. 

Selbstverstandlich isf dazu ein straffer Zusammen- 
schlug der. armen Dorfbevolkerung notig. Diese Or- 
ganisation mufj zwei Aufgaben vor Augen haben: 
erstens die Bekampfung der Dorfausbeuter, der 
Wucherer und der friiheren Schankwirte, kurz, der Dorf- 
bourgeoisiej.zweifens aber die Insfandsefeung der land- 
wirtschaftlichen Betriebe, die Kontrolle iiber die Land- 
verteilung, die Errichtung der Arbeitskommunen, die 
Sorge um die regelrechte Ausnufeung der friiheren Guts- 
besiberlandereien. Mit anderen Worten, die gan*e 
Riesenarbeit der landwirtschaftlichen Verfassung miiljfe 
diese Organisation der Dorfarmen leisten. Fine solche 

63 



Organisation der armsten Bauernschaft ware in der 
Form der Dorfgemeinde gegeben, denen allerlei Spe- 
zialabieilungen unterstehen mukten wie, die Nahrungs- 
mittel-, die Bodenabteilung und andere. Die Boden- 
abteilungen der Bauernrate miissen die Hauptsiiike der 
Dorfarmen in der Agrarfrage bilden. Um am sichersten 
zu verfahren, mug die Organisation dieser Rate derart 
sein, dak die einheimischen oder benachbarien Fabrik- 
arbeiter ebenfalls ihre Vertreter darin haben; derm die 
Arbeiter sind erfahrenere Leute als die Bauern und sind 
mehr an genossenschafiliche Geschafisleitung gewohnt 
und kennen sich in der Bekampfung der Bourgeoisie 
besser aus. Die Arbeiter werden die Dorfarmen stets 
gegen die Reichen stiiken, und so werden die armsten 
Bauern in ihnen stets ihre besten Heifer finden. 

Die Armen diirfen sich nicht iibers Ohr hauen lassen. 
Wie lange kampfte man um den Grund und Boden, bis 
man ihn endlich erkampft hatte! So verpasse man nicht 
alles wieder! Diese Gefahr besteht, sobald man den 
Weg der Zersplirterung der Landereien und deren Tei- 
lung in Privatbesifetiimer beschreitet. Aber diese Gefahr 
wird schwinden, sobald die arme Landbevdlkerung zu- 
sammen mit der Arbeiferklasse den Weg des g e - 
nossenschaftlichen Grokbetriebes einschlagen 
wird. Dann steuern wir mit Volldampf dem Kommunis- 
mus entgegeru 

XI. Die Verwaliung der Industrie durch die Arbeiter. 

Wie auf dem Lande die Mauptrolle in der Verwal- 
tung des Bodens allmahlich auf die Organisationen der 
armen Bauernschaft — die Bauernrate und ihre Unier- 
abteilungen — iibergeht, genau so wird die Verwaltung 
der Industrie an die Arbeiterorganisationen und die 
Amtssiellen der Arbeiter- und Bauernregierung iiber- 
64 






gehen, und geht audi jefet schon iiber (das fordert ja ge- 
rade unsere Partei). 

Bis zur Novemberrevolution 1917 und in der ersten 
Zeit danach siellte die Arbeiterklasse die Forderung der 
Arbeilerkonlrolle auf, das heiki einer Ueber- 
wachung von seiten der Arbeiter, daft die Kapiialisten 
in den Fabriken und in den Werken nichl das Feuerungs- 
material und die Rohprodukte verslecken, nicht 
schwindeln und nichl spekulieren, den Belrieb nicht 
schadigen und die Arbeiler nichl nach eigenem Gut- 
diinken auf das Pflasler werfen. Man fiihrie auch eine 
Arbeileraufsichl ein iiber die Produktion, den 
Kauf und Verkauf von Produklen und Rohmaterialien, 
ihre Aufbewahrung und die Geldmiltel der Unlernehmen. 
Fine einfache Aufsichl envies sich jedoch als unzu- 
reichend. Und ganz besonders unzureichend war diese 
Aufsichl bei der Verslaallichung (Sozialisierung) 
der Belriebe, als die Rechte der Herren Kapilalisten auf- 
gehoben wurden und einzelne Unlernehmen oder ganze 
Produktionszweige an den Slaal der Arbeiterklasse und 
der armen Dorfbevolkerung iibergingen. Es ist ein- 
leuchlend, dafj die Aufsichl allein nichl ausreicht; was 
not tut, isl nichl allein eine Arbeiterkontrolle, sondern 
eine Arbeiterverwaltung der Industrie — Ar- 
beiterorganisationen, Betriebsrate, Gewerkschaften, 
wirischaftliche Ableilungen der ArLeiterrate, und 
schliefelich Aemler der Arbeiter- und Bauernregierung 
(verschiedene Fachkomilees, Volkswirlschaftsrate usw.) 
— das sind die Organisalionen, die nicht allein zu iiber- 
wachen, sondern audi zu verwalten haben. Es sei 
hier folgendes bemerkl: 

Unter gewissen Schichten der unaufgeklarten Ar- 
beiter herrscht eine derartige Auffassung: Wir iiber- 
nehmen die Fabrik in unsere Hande — und Schlufc da- 

i 65 



mitl Angenommen, friiher war die Fabrik das Eigenium 
des Fabrikanten X. — jefci aber sei sie das Eigenium der 
Arbeiier dieser Fabrik. Eine solche Auffassung ist 
selbstredend falsch. Sie erinnert siark an die allge- 
meine Teilerei. In der Tat, waren wir so weit gekommen, 
daft jede Fabrik den Arbeiiern n u r der beireffenden 
Fabrik gehdrle, dann harfe unter den Fabriken eine Kon- 
kurrenz begonnen. Die eine Tuchfabrik wiirde danach 
streben, mehr zu verdienen als die andere; sie wiirden 
anfangen, sich gegenseiiig die Abnehmer abzujagen; die 
Arbeiier der einen Fabrik waren dem Unfergange ge- 
weihi, die der andern Fabrik wiirden reich werden, die 
\ erkrachten Arbeiier ansiellen — kurzum, wir haiien das 
alibekannie Bild; ebenso wie bei der allgemeinen Tei- 
lung wiirde der Kapiialismus bald seine Wiedergeburi 
feiern. 

Wie soil man dagegen ankommen? Man mufc of fen- 
bar ein solches Regime der Beiriebsverwaliungen durch 
die Arbeiier schaffen, dafj der Arbeiier sich mii dem Ge- 
danken veriraui mache, jede Fabrik sei nichi das Eigen- 
ium der Arbeiier dieser beireffenden Fabrik, sondern 
des gesamien werktaiigcn Volkes. Das 
kann auf folgende Weise erreichi werden. Jede Fabrik 
und jedes Werk hat eine Arbeiier verwaltung, die 
aber so zusammengeseki isi, da& die Majoriiat in dieser 
Verwaltung nichi aus Arbeiiern der beireffenden Fabrik 
bestehi, sondern aus Arbeiiern, die von der Gewerkschafi 
des gegebenen Industriezweigs, vom Arbeiterrat und, 
schlie&Iich, vom Provinzialwirtschafisrat eingeseki wird. 
Wenn die Verwaltung aus Arbeiiern und Angesiellten 
(die Arbeiier miissen in Majoriiat sein, da sie zuver- 
iassigere Anhanger des Kommunismus sind), und zwar 
in der Mehrzahl aus Arbeiiern nichi der beireffenden 
Fabrik gebildet sein wird, so wird die Fabrik so geleitei 

66 



werden, wie es den Interessen der Arbeiterklasse in ihrer 
Gesamtheit entspricht. 

Jeder Arbeiter weifc, dag Fabriken und Werkanlagen 
nicht ohne Buchhalter, Techniker und Ingenieure aus- 
kommen konnen. So mug die Aufgabe der Arbeiter~ 
klasse darin bestehen, sich diese Elemenle dienstbar zu 
machen. Solange die Arbeiterklasse noch nicht £us 
ihrer Mitte solche Fachleute auszusdheiden vermag (das 
wird erst der Fall sein, wenn der Entwurf der Allgemein- 
bildung und Zuganglichkeit des hoheren Fachstudiums 
fiir jedermann durchgefiihrt sein wird) — so lange wird 
sie diese Fachleute hoch und sehr hoch bezahlen miissen. 
Nun mogen sie der Arbeiterklasse ebenso dienen, wie 
sie friiher der Bourgeoisie dienten. Friiher standen sie 
unter der Kontrolle und der Aufsicht der Bourgeoisie, 
nun werden sie unter der Kontrolle und der Autsicht der 
Arbeiter und der Angestelllen stehen. 

Damit die Produktion glatt von statten gehe, ist 

es, wie bereits oben erwahnt, notwehdig, da| schon im 

voraus ein einheitlicher Arbeitsplan aufgesiellt werde. 

Es geniigt nicht, dag jede groge Fabrik ihre eigene Ar- 

beiterverwaltung habe. Der Fabriken gibt es ja gar 

viele, es bestehen die mannigfachsten Produktions- 

gebiete; sie sind alle untereinander verbunden, hangen 

voneinander ab: Jiefern die Bergwerke zu weaig Kohle, 

so stellen die Fabriken und die Eisenbahnen den Betrieb 

ein; hat man kein Erdol, so gehen die Dampfer nicht; 

ohne Baumwolle haben die Textilfabriken nichts zu tun. 
Man mii&le infolgedeasen eine Organisation schaffen, 

die die gesamte Produktion umfa&te, -nach 'gemein- 
samem Plan angelegt ware, mit den Arbeiterverwaltun- 
gen der einzelnen Fabriken in Verbindung stiinde und 
sich genaue Rechenschaft iiber alle Vorrate und alle 
Bediirfnisse abgeben konnte, und zwar, nicht in bezug 
auf eine einzelne Stadi oder einen Betrieb, sondern in 
5 * 67 



Hinblick auf das ganze Land. Die Notwendigkeit eines 
solchen gemeinsamen Planes wird besonders am Bei- 
spiel der Eisenbahnen klar. Jedes Kind wei|, dafj die 
Zerriittung des Eisenbahnwesens das fiirchterlichste 
Ungliick zur Folge hat; so kann man z. B. in Sibirien zu- 
viel Broi haben, wahrend in Petersburg Hunger herrscht. 
Warum? Darum, weil das vorhandene Brot den Ein- 
wohnern von Petersburg unzuganglich ist — es kann 
nicht befdrdert werden. Damit ein regelmajjiger Ver- 
kehr bestehen kann, muij alles genau berechnet und ver- 
teilt sein. Und das ist nur bei einem einheitlichen Plan 
moglich. Stellen wir uns vor, da& die eine Eisenbahn- 
strecke nach dem einen Prinzip verwaltet werde, die 
zweite Strecke — anders, und die dritte Strecke wieder 
anders, ohne miteinander im Zusammenhang zu stehen. 
Welch heillolser Wirrwarr wiirde entstehen! Dieser 
Wirrwarr kann lediglich durch eine einheitliche zu- 
sammentassende Leitung vermieden werden. Deshalb 
braucht man solche Arbeiterorgane, solche Arbeiter- 
organisationen, die ganze Produktionszweige um- 
fassen, diese Produktionszweige untereinander ver- 
binden und schlie§lich die Tatigkeit verschiedener grofter 
Gebiete zu einem Ganzen zusammenschlie|en, so: 
Sibirien, der Uralgebiete, der Nordgouvernements, 
Zeniralru&lands usw. Soldie Organe werden momentan 
auch geschaffen, das sind die Bezirks- und Provinzial- 
wirtschaftsrate, dann die Spezialkomitees, die ganze 
Produktions- oder Handelszweige umfassen (wie z. B. 
„Centrotextil" usw.), und ganz an der Spifee als Zentral- 
organisation der Obere Volkswirtschaftsrat. Alle diese 
Organisationen stehen mit den Arbeiterraten in Ver- 
bindung und arbeiten Hand in Hand mit der Rateregie- 
rung. Ihrer Zusammensefeung nach bestehen sie haupt- 
sachlich aus Vertretern der Arbeiterorganisationen und 
68 



stiifeen sich auf die Gewerkschaften, die Betriebsrate, 
die Angestelltenverbande usw. 

So wird nach und nach eine Arbeiterverwaltung der 
Industrie von oben bis unferi geschaffen. Unten — die 
lokalen Betriebsrate und Arbeiterverwaltungsstellen; 
weiter oben die Bezirks- und Provinzialwirtschaftsra'te 
und als Krdnung des Ganzen — der Obere Volkswirt- 
schaftsrat. Die Arbeiterklasse mufj sich zur Aufgabe 
machen, die Industrieverwaltung von seiten der Arbeiter 
auszudehnen und in jeder Hinsicht zu festigen, indem 
sie die breiten Massen in diesem Sinne dazu erzieht. 
Das Proletariat, das die Produktion in seine Hande 
nimmt, nicht als Eigentum von einzelnen Personen und 
Gruppen, sondern als Eigentum der ganzen Arbeiter- 
klasse — das Proletariat hat dafur Sorge zu tragen, da& 
die zentralen und Bezirksarbeiterorganisationen von 
Tausenden ihrer Zellen, der lokalen Arbeiterverwaliun- 
gen (usw., gestuht werden. Wenn die hoheren Ver- 
waltungsinstanzen nicht auf den lokalen fufjen werden, 
dann werden sie bald in der Luft schweben und sich in 
Beamtenstellen, oder wie man zu sagen pflegt, in bu- 
reaukraiische Institutionen verwandeln, denen jeder le- 
bendige revolutionare Geist fehlen wiirde. Sie werden 
dagegen mit der furchtbaren allgemeinen Zerriittung 
tertig werden, wenn sie allerorts von den lebendigen 
Kraften der Arbeiterklasse getragen sein werden; und 
iede Verfiigung der Zentralorganisation der Arbeiter 
wird einen Widerhall finden und — nicht aus Furcht, 
sondern aus Ueberzeugung — an Ort und Stelle 
befolgt werden. ]e mehr die Massen selbst sich mit 
Teilnahme an den Wahlen ihrer Verwaltungsinstanzen, 
an der Arbeit, um die Fabriken und der unerbittlichenVer- 
folgung aller Miftstande und Schwindeleien beschaftigen 
werden — um so eher wird die Arbeiterklasse in Wirklich- 

69 




Keit, nicht in Worten allein, die industrielle Produktion be- 
herrschen, und urn so eher wird nicht allein die poliiische, 
sondern auch die dkonomisdie, wirtschafiliche D i k - 
tatuf der Arbeiter k basse einireten, d. h., die 
Arbeiterkfesse wird die wirkliche Herrin werden nicht 
nur in der Verwaliung des Heeres, der Schule, der Ge- 
richte und anderer Gebiete, sondern auch in der Ver- 
waltung der Produktion. Erst dann wird die Macht des 
Kapitals untergraben sein, und jede Moglichkeit wird 
unmdglich gemacht werden, dag das Kapital die Ar- 
beiterklasse wieder in sein joch einspannt. 

XII. Brot nur den Arbeitenden! 
(Die Arbeiispflicht der Reichen) 

Der Uebergang zur kommunisiischen Ordnung be- 
deutet den Uebergang zu einer Ordnung, die weder 
klassen noch Klassenunterschiede kennt, und bei der 
aile Sdiaffenden in gleichem Mahe nicht Lohnarbeiter 
sind, sondern gesellschaftliche Arbeiter. Zur Vorbe- 
reitung dieser Ordnung mug unverziiglich iibergegangen 
werden. Als einer der ersten Sdiritte erscheint dabei, 
neben der proletarischen Versiaatlichung (Sozialisier- 
ung) der Banken und der Industrie, die Einfiihrung der 
Arbeitspflidit fiir die besibenden Klassen. 

Momentan gibt es viele Menschen, die nicht ar- 
beiten, nichts produzieren und nur das von anderen Er- 
arbeitete verbrauchen, verzehren, veriilgen. ]a mehr 
noch, es finden sich Menschen, die nicht nur nicht ar- 
beiten, sondern auch durch ihre Tatigkeit bestrebt sind, 
auf jede Art die . Rateregierung und die Arbeiterklasse 
zu schadigen und zu gefahrden. Alle Arbeiter haben 
noch die Sabotage deutlich in Erinnerung, die Sabotage, 
die von den russischen „Kopfarbeitern" — den Lehrern, 
den Ingenieuien, Aerzten und anderen „gelehrten 
70 



Leuten" belrieben wurde. Von anderen groken Tiepen, 
den Fabrik*- und Bankdirekioren, den hoheren Beamten 
usw., gar nichi zu reden! Sie alle waren auf jede Weise 
bemiiht, die Arbeit des Proletariats und der Rate-Re- 
gierung zu desorganisieren und in der Wurzel zu unter- 
graben. Die Aufgabe des Proletariats besteht darin, 
audi die Herren Bourgeois, die ihrer Giiter verlustigen 
Herren Gufsbesiker und die Intellektuellen mit gesicher- 
tem Einkommen, audi diese Leute zum allgemeinen 
Nuken zur Arbeit zu z w i n g e n. Wie soil das ge- 
schehen? Durch Einfiihrung von Arbeiisbiichern 
und der allgemeinen Arbeitspflicht. Jeder dieser 
Burger bekommt ein besonderes Biidilein, in das seine 
Arbeitsleistung eingetragen wird. Enlsprechend den Ein- 
tragungen in seinem Arbeitsbuch wird ihm das Redit zu- 
gesprochen, ein bestimmtes Quantum von Produkten, vor 
allem Brot, zu kaufen. Weigert sich einer zu arbeiten 
(angenommen es sei ein Saboteur aus dem Kreise der 
friiheren Beamten oder ein tollgewordener ehemaliger 
Fabrikant oder Gutsbesiker, der sich nicht damit ab- 
finden kann, dak das Land, auf dem er Jahrzehntelang 
gesessen hatte, ihm weggenommen ist), weigert sich also 
so ein Mann, zu schaffen, und fehlt in seinem Arbeits- 
buch die erforderliche Eintragung, so heifjt es, wenn 
er in den Laden komml: „Sie bekommen nichts, — bitte, 
Ihre Arbeitseintragung!" 

Unter diesen Umstanden wird die Menge der Nichts- 
tuer, die den Newski Prospekt und die Hauplsirafjen der 
Grokstadle abtrotten, ob sie es wollten oder nicht, ge- 
zwungen sein, zur Arbeit zu greifen. Es versteht sich 
von selbst, da& die praktische Durchfuhrung einer der- 
ariigen Arbeitspflicht auf grofje Schwierigkeiten stokt. 
Die besikenden Klassen und der Mittelstand werden alle 
Schliehe anwenden, urn die Arbeit zu schwanzen, und 
werden alle Mittel ergreifen, um der neuen Ordnung 

71 



Hindernisse in den Weg zu legen. Es ist keineswegs 
leichi, die Sadie so einzurichten, dag gewisse Lebens- 
mitiel nur laut Eintragung in den Arbeitsbiichem verab- 
folgt, widrigenfalls aber vorenthalfen werden. Die 
Reichen, die Geld haben Cund Geld heifjt jefet so viel wie 
Quittungsscheine fiir den Empfang von Produkten), 
haben zugleich audi fausend Moglichkeiten, die Rate- 
regierung zu hintergehen und die Armen zu prellen. 
Diese Moglichkeiien miissen durch eine richtige Organi- 
sation der Lebensmittelverteilung zunichte gemachi 
werden. 

Die Arbeitspflicht der Reichen kann, sagen wir, auf 
folgende Weise eingefiihrt werden: Jede Person, die, 
sagen wir, mehr als 500 oder 600 Rubel Monatseinkom- 
men hat, jede Person, die Arbeiter einsielli, jede Farnilie, 
die Bediente hat usw., erhalt ein Verbrauchs- und Ar- 
beiisbuch. Und diesen Buchungen entsprediend lie&e 
sidi z. B. die Arbeitspflicht der Reichen bestimmen. 

Die Arbeitspflicht der Reidien mufc natiirlich als 
Uebergang zu der allgemeinen Arbeitspflicht 
gedacht sein. Und das nichi allein deshalb, weil die 
I.eisfungsfahigkeit unserer Industrie und Landwirischaft 
nur durch Heranziehung aller arbeitsfahigen Mitglieder 
der Gesellschaft gesteigert werden kann, sondern audi, 
weil eine K o n t r o 1 1 e iiber die Menge der Arbeitskraft 
und eine regelma&ige Verteilung dieser Arbeitskraft auf 
die verschiedenen Produkhonsgebiete und die einzelnen 
Betriebe notig ist. Genau so, wie der Krieg einerseits 
eine Mobilmachung samtlicher Krafte, andererseits aber 
ihre genaue Berechnung und Organisation erfordert, — 
genau so miissen im Krieg gegen die wirt-* 
schaftliche Zerriitlung alle fiir diesen Krieg 
brauchbaren Sdiichten herangezogen werden, sie 
miissen gezahli und zu einer Arbeifsarmee orga- 
12 



nisieri werden, die von Arbeitsdisziplin und dem Ver- 
siandnis ihrer Arbeitspflichlen erfiillt ist, 

Gegenwartig haben wir in Rufjland infolge unserer 
wirtschaftlichen Mi&stande und des Mangels an Heiz- 
material und Rohstoffen (dieses Ungliick wurde be- 
sonders dadurch verscharft, dajj die Banden des deut- 
schen Imperialismus den Suden Ru&lands und die 
Ukraina besefcten), — eine starke Arbeitslosigkeit. Die 
Sache liegt folgendermaBen: Einerseits isi es klar, dalj 
uns nur die lebendige Arbeitskraft retten kann, dafj nur 
die Arbeit die Produktivitat der Industrie und der 
Landwirtschaft zu steigern vermag, diese Arbeitskraft 
ist vorhanden, die Arbeitshande sind da; andererseits 
aber, trokdem wir Arbeitshande in Hiille und Fiille be- 
sifeen, haben wir keine Verwendug fur sie. Die Arbeits- 
losigkeit ist ohnehin grog. Wo sollte man alle die 
Menschen unferbringen, die durch die Arbeiter- und 
Bauernregierung zu arbeiten verpflichtet waren? Als 
eine der wichtigsten Aufgaben erscheini daher die 
Schaffung von offentlichen Arbeiten und allerlei wich- 
tigen Staatsbauten (Bau von Eisenbahnen, Ausbeutung 
von Bergwerken, Drainage- und Bewasserungsarbeiten, 
Ausbeutung der Torflager, Bau von Getreidespeichern, 
Anlage von Hebevorrichtungen usw.). Aber wiederum 
ist es klar, da| diese Arbeiten nicht auf einmal alle 
freien Arbeitskrafte zu verbrauchen, vermogen, die in 
Ueberfiille vorhanden sind. 

Aus diesem Grunde wird man sich in der aller- 
ersten Zeit mit einer Siatistik der Arbeitskrafte, ein- 
schlie&lich ihres Berufes und ihres Faches, und der Ein- 
fiihrung der Dienstpflicht laut Forderung der Rate- 
regierung oder der Produktionsverwaltung^sorgane der 
Arbeiter begniigen miissen. Ein Beispiel moge dies er- 
klaren. Angenommen, zur Erforschung neuer Berg- 
werke in Sibirien sind Fachingenieure erforderlich. Die 

73 






meiallurgische oder die Bergwerksabieilung des oberen 
Wirtschafisraies schreibt so und so viel Ingenieurstellen 
aus. Die staiistische Abteilung fiir Arbeitskrafte siehi 
in den betreffenden Listen nach, findet die passenden 
Personen; und diese sind dann verpflichtet, sich 
dorihin zu begeben, wohin sie beordert werden. 

Naftirlich wird in dem Make, in dem die Organi- 
sation der Produktion ins rechte Geleise Iritt, auch die 
Arbeits m 6 g 1 i ch k e i t geschaffen werden, und so wird 
allmahlich auch die Arbeiispfiichi ins Leben treten, das 
hei&i die Heranziehung aller arbeiisfahigen Elemenie 
der Gesellschaft zur obligaiorischen Arbeit. 

Die Arbeitspflicht ist an und fiir sich keineswegs 
etwas Neues. Gegenwartig besteht in fast alien krieg- 
Fuhrenden Landern fiir die Bevblkerung eine von den im- 
perialistischen Regierungen eingefiihrte Arbeitspflicht 
fvor allem fiir die unterdriickten Klassen). Aber jene 
Arbeitspflicht, die in West- und Mitieleuropa besteht, 
unierscheidet sich von der. Arbeitspflicht, die wir ein- 
fiihren miissen, wie Himmel und Erde. Die Einfuhrung 
der Arbeiispfiichi in den imperialisiischen Landern be- 
deuiet eine vbllige Versklavung der Arbeiterklasse, 
ihre vollsiandige Unierjochung von seiien des Finanz- 
kapiials und des Raubgesindels des Siaaies. Warum? 
Sehr einfach. Darum, weil die Arbeiter dort nicht durch 
sich selbst regieri werden, sondern weil dort Generate, 
Bankiers, reiche Syndikatsmiiglieder, biirgerliche 
Schieber und Minister nach ihrem Gutdiinken iiber die 
Arbeiter regieren. Der Arbeiter ist dabei blofc das 
Werkzeug in ihren Handen. Er ist wie der Leibeigene, 
iiber den sein Herr verfiigen kann, wie er will. Es ist be- 
greiflich, dak die Arbeitspflicht in den westeuropaischen 
Staaten einen neuen Frondiensi bedeuiet, eine Leib- 
eigenschaftspflichf, ein Miliiar zuchthaus. 
Die Arbeitspflicht wurde eingefiihrt, damit der morde- 
74 






rische Krieg endlos weiter gehe und die Arbeiter die 
Taschen der Herren Kapitalisten weiter fiillen. 

Bei uns aber miissen die Arbeiter s e 1 b e r , mittels 
ihrer eigenen Organisaiionen und auf Grund der 
Selbsiverwallung der Arbeiter diese Ar- 
beitspflicht einfuhren und durchfiihren. Da stehen keine 
Bourgeois liber ihnen. Im Gegenteil, die Arbeiter stehen 
iiber den ehemaligen Bourgeois. Die Kontrolle, die Be- 
rechnung, die Verieilung der Arbeitskrafte — all das isi 
bei uns Sache der Arbeiterorganisationen, 
und, insofern die Arbeitspflicht auch auf das flache Land 
ausgedehnt wird, Sache der Bauernrate, die ii b e r de: 
Dorfbourgeoisie stehen und sich diese unierwerfen 
werden. Alle Organe, die die Arbeitskrafte verwalten, 
miissen durchwegs Arbeiterinstitutionen 'sein. Das ist 
auch ganz natiirlich: Wenn die Arbeiter die Leitung der 
Industrie besorgen, so befindet sich auch die Arbeiis- 
verwaliung — denn sie bildet ja nur einen T e i 1 der Pro- 
duktionsverwaltur.g — in den Handen der Arbeiter. 

Fur die Arbeiterklasse, die das okonomische, wirt- 
schaftliche Leben beherrschen will (und trob allei 
fiindemisse auch es schon beherrsdit), fiir die Arbeiter- 
klasse, die zur Herrin aller Guter wird, erhebt sich nun 
die Grundfrage nach dem Aufba^u der Produktion. 
Der Aufbau der Produktion erfordert ihrerseits die 
Ldsung zweier Aufgaben: die Organisation der P r o - 
duktionsmittel (Statisfik, Kontrolle, richtige Ver- 
teihmg der Brennstoffe, der Rohstoffe, der Maschinen, 
der Werkzeuge, der Samereien bsw.) und die Organi- 
sation der Arbeit (Statistik, Kontrolle, richtige Ver- 
teilung der Arbeitskrafte). Damit alle Krafte der Ge- 
sellschafi gleiclimakig ausgenukt werden konnen, isi die 
Arbeitspflicht erforderlich, und die Arbeiterklasse wird 
sie fiiiher oder spater audi einfiihren. Dann wird das 

75 



Schmarojsertum verschvvinden, und es werden nur noch 
gesellschaftlich nu'Kliche Arbeiter bleiben. 

XIII. Richtige Verteilung der Produkte; 

Vernichtung ues Handelsgewinns und der Spekulation: 

Konsumkommunen. 

Die Produktion kann nur dann richiig beherrscht 
werden, wenn die Verteilung der Produkte be- 
herrscht wird. Wenn die erzeugten Produkte nicht richtig 
verteilt werden, kann auch eine regelma|ige Produktion 
nicht vor sich gehen. Angenommen, alle grb&ienlndustrie- 
zweige seien verstaatlicht. Wie wir gesehen haben, ar- 
beitet ein Industriezweig fur den anderen. Damit die 
Produktion gut vonstatten gehe, ist es notwendig, da(j 
dem einen Industriezweig so viel Material geliefert 
werde, wie e r braucht: dem einen Unternehmen soviel, 
dem andern soviel. Man mug also die erzeugten Pro- 
dukte richtig verteilen, ganz planmakig, den Bediirl- 
nissen der Betriebe entsprechend. An die Organe, die 
die Erzeugung irgendeines Produktes verwalten, miissen 
sich die verschiedenarhgsten Versorgungs- 
organe anschlieken, das heifct Arbeiterorganisationen, 
welche die Verteilung der Produkte unter sich haben. 
Nur auf diese Weise kann die Produktion im grofjen 
und ganzen glait voj sich gehen. 

Doch es gibt Produkte, die, ahnlich wie das Brot, 
direkt fiir den persbnlichen Verbrauch des Konsumenten 
verwandi werden. So zum Beispiel viele Lebensmittel, 
ein grower Teil der Gewebe, viele Gummiwaren (z. B. 
Gummischuhe werden von keiner Fabrik weitergekauft, 
sondern gelangen unmittelbar in den Gebrauch des Kon- 
sumenten) und anderes mehr. Hier ist eine genaue 
Statistik und gerechte Verteilung unter der B e - 
volkerung notwendig. Aber eine solche gerechte 
Verteilung ware undenkbar ohne Durchfiihrung eines 
76 



besiimmlen Planes. Zuerst muk die Produktenmenge 
berechnet werden, dann das Bediirfnis danach, und 
schlieklich wird auf Grund dieser Beredinung die Ver- 
ieilung angeordnet. Ein anschauliches Beispiel fur die 
Notwendigkeit eines gemeinsamen Arbeitsplanes bieiei 
uns die Lebensmittelfrage, die Frage der Brotverteilung. 
Wir sehen heute, dak die Bourgeoisie, die Schieber, die 
rechten Sozialrevolutionare, die Menschewiki, die Dorf- 
wucherer — sie alle sich danach reiken, dak das staat- 
liche Getreidemonopol aufgehoben und den Schiebern, 
den groken wie den kleinen, den Lieferanten und den 
Kettenhandlern, freies Spiel gelassen werde. Es ist 
klar, warum die Gewinnler an der Aufhebung des Mono- 
poly interessiert sind: immerhin werden sie dureh dieses 
Monopol gehindert, den Konsumenten nach Belieben zu 
schinden. Andererseits aber ist audi klar, dag jekt Unfug 
gefrieben wird: die Reichen essen nach wie-vor ihr Wei§- 
brot, denn sie kaufen Weikmehl „von hinten rum", vom 
anderen Mehl ganz zu schweigen; sie zahlen Kriegs- 
preise und bekommen alles. Wer hilft ihnen dabei? 
Natiirlich die Herren Schieber. Ihre Sorge ist nicht etwa, 
die Bevolkerung zu ernahren, sondern blog mehr ein- 
zuheimsen, mehr zu gewinnen. Und mehr zu verdienen 
geben kann natiirlich nicht der Arme, sondern der Reiche. 
Deshalb bringen die Spekulanten ihr Getreide nich nach 
den Orten, wo die Not am grokten ist, sondern dorthin, 
wo gute Preise gezahlt werden. Und das zu ver- 
hindern, ist bis iefet noch nicht gelungen. Daraus folgt 
also, dak zur richtigen Verteilung des Getreides nicht- 
nur das Getreidemonopol und die Arbeiten des Lebens- 
mittelkomitees und der Lebehsmittelamter nicht aufge- 
hoben werden diirfen, sondern ganz im Gegenteil — 
man muft dieses Monopol aufs sfrengsfe aufrechter- 
halten, mit den Schiebern unerbittlich verfahren und die 
Schleichhandler so in Angst versefeen, daB sie nicht mehr 

n 



wagen, am Ungliick des Volkes reich zu werden und den 
allgemeinen Emahrungsplan zu durchkreuzen. Das Un- 
heil bestehi nichi eiwa darin, dag wir ein Monopol und 
keinen Privathandel haben, sondern darin, dak das Ge- 
treidemonopol schlechi durchgefuhrt wird und der 
Schleichhandel gedeihi; und das geschieht zu einer Zeii, da 
die fruchibarsien Provinzen von den deuischen Truppen 
besekt sind, da an vielen Orten das Saatgetreide ver- 
zehrt ist und die Felder unbestellf bleiben — zu einer 
Zeit, da Menschen hungem! Jedes Stiick Brot ist jefet 
kostbar, jedes Pfund Mehl unschafebar! Und gerade 
deshalb mug alles einer strengen Kontrolle unterworfen 
werden, damit keine Krume Broi verloren gehe, damii 
das gesamte Getreide gleichma&ig verteilt werde, damit 
die Reichen keinerlei Vorteile geniegen. Das, wieder- 
holen wir, kann und muk geschehen, wenn alle Arbeiter 
gemeinsam ans Werk gehen ,wenn sie die Arbeiter- 
organisationen in ihrem Wirken fordern, wenn sie auf 
das Treiben der Spekulanien und der Schieber die Hand 
!egen. 

Leider gibt es auch bei uns viel unverniinftige arme 
Leute, die auf eigenes Risiko Einkaufe machen und 
sich nicht um die Arbeiterverpflegungsorganisaiionen 
kiimmern, wodurch sie die Sache der Allgemeinheit sehr 
schaden. Jeder einzelne von ihnen denki: „Was man da 
auch reden mag, ich werde schon meinen Vorieil 
wahren", und er begibt sich hin, Getreide einzukaufen. 
Unterwegs passieren ihm dann alle moglichen Zu- 
sammenstoke wegen dieses Einkaufs, und da beginnt 
das Klagen: Man Iasse einen nicht einmal fiir sich 
sorgen. In Wirklichkeit aber erinnert die Sache nur zu 
oft an folgendes: Stellen wir uns vor, es fafiri ein Eisen- 
bahnzug, vollgepfropft mit Menschen, man steht in den 
Gangen, liegt auf dem Boden, kurz, kein Stecknadel- 
knopf hat Plafe! Da merkt einer, es riecht nach Brand, 
78 m 






\ 



er beginnt aus voliem Halse zu briillen: „es brennt!" unci 
siiirzt, wie ein Besessener um sich schlagend, zur Tiir. 
Alle drangen vor Angst ganz kopflos zum Ausgang, es 
entsieht ein furchtbares Gedrange und eine Schlagerei; 
die Menschen schlagen, beifcen einander, drucken ein- 
ander die Rippen ein, Kinder werden iiberrannl, erstickt. 
Die Folge davon ist — Dufeende von Toien, Verwunde- 
fen, Verstiimmelten. Und? Es konnte ganz anders sein. 
Flatten sich vemiinftige Menschen gefunden, um die 
Menge zuriickzuhalten und zu beruhigen, so waren alle. 
der Reihe n a ch hinausgekommen, ohne die leisesie 
Verlefeungzu erfahren! Woher kam das alles? Da- 
her, weil jeder Einzelne dachie: meine Haut ist mir am 
nachsten, die andern gehen mien nichts an. Und so hat 
man ihm vielleicht zuerst das Genick gebrochen! 

Dieselbe Geschichte wiederholt sich mit den Leuten, 
die auf eigenes Risiko Getreide einkaufen, trok der Ver- 
fiigungen der Arbeiterverpflegungsorganisationen. Jeder 
denkt, er kann sich am besten helfen. Was ist aber 
davon die Folge? Dak durch diese Einkaufe jede ge- 
naue Bestandsaufnahme unmoglich gemacht und jede 
regelrechte Getreideverteilung unterbunden wird. Man 
will zum Beispiel aus einer Ortschaft, wo noch ein wenig 
Getreide vorhanden ist, das Getreide nach einem an- 
deren Orte transportieren, wo tasachlich Hunger 
herrscht; da kommen die Leute aus dem anderen Ort und 
kaufen alles auf. Nun mag der erste Ort rein ver- 
hungern. Und ferner. Werden einmal die g e .s e 1 1 - 
s ch a f 1 1 i ch organisierten Einkaufe verhindcrt, so 
taucht der Schieber, Hamsterer und Spekulant auf der 
Bildflache auf. Sofort beginnt er sich an den Privat- 
einkaufen die Hande zu warmen. Auf diese Weise 
fordern die armen und unbewukten Elemente, ohne sich 
daruber klar zu werden, die Tafigkeit der Blutsauger und 
Schieber, deren Plafe eigenflieh am Galgen ware. So 

79 









wird War, vvie es kommt, da& die Herren Spekulanien 
die Unzufriedenheii der Hungrigen gegen die Rate-Re- 
gierung auszunuken verstehen, und die schlimmsien 
Gauner, Schwindler und Schieber an der Spike der 
Putsche gegen die Rateregierung anzutreffen sind, die 
hie und da in Krahwinkel ausbrechen. Die Arbeiter 
miissen ein- fiir allemal begreifen, da§ ihre Rettung nicht 
auf dem Wege einer Riickkehr z u m A 1 1 e n sei, sondern 
auf den Wegen, die vorwarts fiihren, zur Vernichtung der 
Spekulation, zur Vernichtung des Handels, zur g e s e 1 1 - 
schafilichen Verteilung der Produkte 
durch die Arbeiterorganisationen. 

Dasselbe muk auch in Hinblick auf eine ganze Reihe 
anderer Produkte gesagt werden. Die Arbeiterklasse 
darf nicht dulden, dak die reichen Leute fiir gute Be- 
7ahlung alles erhalten; und die Arbeiterklasse darf nicht 
zulassen, dak die Schieber ihre fabelhaften Profite ein- 
streichcn, alle die Spekulanten, die wie Aasgeier herbei- 
geflogen kommen und ihr dunkles Handwerk betreiben. 
Cine richtige Verteilung der Produkte auf Grund der ge- 
nauen Berechnung der Bediirfnisse einerseits und der 
Bestandesaufnahme der Vorrafe andererseits — das ist 
eine der Grundaufgaben, die vor der Arbeiterklasse 
stehen. Das bedeulet eine Verstaaflichung (Na- 
fionalisierung) des Handels, oder eigentlich eine 
Aufhebung' des Handels, denn der Uebergang zur 
gesellschafllichen Verteilung der Produkte vertragt sicti 
nicht mit der Existenz von Gewinnlern und allerlei I.iefe- 
ranten, die wie Schmaroker leben und die Sache der all- 
gemeinen Versorgung schadigen. Nicht riickwarts, zum 
„freien Privaihandel", das heifjt, zur „freien" P 1 ii n d e - 
rung, sondern vorwarts, zur genauen, planmakigen 
Verteilung der Produkte durch die Arbeiterorgani- 
sationen — das muk die Parole der klassenbewukten 
Arbeiter sein. 
80 



Zwecks einer mbglichst erfolgreichen Verwirk- 
lichung eines solchen Planes mufc ein obligalorischer 
Xusammenschluk der Bevolkerung zu Konsum- 
kommunen (Verbrauchskommunen) angestrebi 
werden. Man kann nur dann irgendein Produkt gleich- 
mafcig verieilen, wenn die Bevolkerung, die dieses Pro- 
dukt erhalt, zu grokeren Gruppen mit genau festzu- 
stellenden Bediirfnissen vereinigt ist. 1st dagegen die 
Bevolkerung nicht vereinigt, unorganisiert und zer- 
splittert, so ist es aufterordenilich schwer, diese Ver- 
teilung auf eine richiige Basis zu stellen: es lakt sidi 
dann nicht feststellen, was und wieviel notig ist, wohin 
und wieviel geschickt werden, und wie, das heiftt durch 
welche Instanzen, die Verieilung geschehen soil. Stellen 
wir uns vOr, dak die Bevolkerung, sagen wir nach Be- 
zirken in Konsumkommunen vereinigt ist. Jedes Stadt- 
viertel sei in eine Art Verbrauchsgenossenschaft, in eine 
Konsumkommune verwandelt, die mit den einzelnen 
Hauskomitees in Verbindung stiinde. Dann wird jedes 
Produkt zuerst unter diesen Kommunen verteilt und diese 
wiederum berechnen im voraus, wieviel und was sie 
brauchen, und verteilen dann durcli ihre Angestellten das 
Produkt weiter unter den einzelnen Konsumenten. 



Beim Zusammenschluk der Bevolkerung zu solchen 
Konsumkommunen konnen die bereits bestehenden 
Konsumgenossensdiaften eine wichtige Rolle 
spielen. ]e umfassender die Tatigkeit der Konsum" 
genossenschaften ist, je weitere Kreise der Gesellschafi 
sie umfassen, um so eher werden sich diese Konsum- 
genossenschafien in Organe zur Versorgung der 
Gesamibevolkerung verwandeln lassen. Obli- 
gatorische Kommunen auf Basis der bereits bestehenden 
Konsumgenossenschaften — das wird wohl die geeig- 
netste Form zur Organisierung der Verteilung sein, mii 

81 






Hilfe derer der Handel endgiiltig verdrangt und der 
Ji a n d e 1 s p r o f i t ein f iir allemal vernichtet sein wird. 

Urn die Aufgabe der riditigen Produktenverleilung 
noch mehr zu erleichtern, mufj man danach streben, dalj 
der Privathaushali durch offenfliche Haushaltung 
erseht werde. Gegenwariig hat jede Familie ihre eigene 
kiiche, kauft selbsiandig, unabhangig von den anderen 
ein, indem sie die F r a u zur Sklaverei verdammt und 
sie in eine ewige Kdchin verwandelt, die von morgens 
friih bis abends spat nichfs anderes sieht als Kuchen- 
geschirr, Besen, Waschlappen und allerhand Unrai. Da- 
1 >ei wird eine ungeheure Menge an Kraft und Geld blind- 
iings vergeudet. Wiirde man die Privafhaushaltungen, 
\or allem die Nahrungsversorgung vereinigen und zen- 
tralisieren (zum Beispiel auf dem Wege einer allgemei- 
nen Rationierung von P^odukfen, einer gemeinsamen 
Zubereitung der Speisen und der Einrichtung von muster- 
giiltigenSpeiseanslalten grofeen Stils), dann lie&en sidi 
die Bediirfnisse eher konirollieren und, abgesehen von 
der Kraft-, Zeit- und Geldersparnis, konnte man dann in 
der richtigen Verteilung bedeutend weiter kommen. 

Ein besonders wunder Punkt fiir die stadtischen Ar- 
beiter, eine der wichligsten Fragen ist die Woh- 
nungsfrage. Die armen Leute werden da unbarm- 
herzig ausgebeutet. Die Hausbesifeer dagegen be- 
reiciiern sich wahnsinnig. Eine schwierige aber dank- 
bare Aufgabe ist die Enteignung dieser Art von 
Eigentum, die Uebergabe der Hauser und der ver- 
schiedenen Raumlichkeiten an die Arbeiterorganisatio- 
nen oder die Organe der Rateregierung, und eine ge- 
naue Wohnungsrationierung. Die groften Herren haben 
nun lange genug geschwelgt! Nun hat der sich ab- 
rackernde Arme ein Recht auf eine warme Stube und 
ein menschenwiirdiges Daseinl 
82 



Auf diese Art und Weise mufc nach und nach das 
Wirtschaftsleben umgestaliet werden. Die Arbeiler- 
klasse organisiert die Produktion. Die Arbeiterklasse 
organisiert die Verteilung. Die Arbeiterklasse organi- 
siert den Verbrauch: Nahrung, Kleidung, Wohnungen 

— alles unierliegt der Berechnung und der zweck- 
ma&igsten Verteilung. Es gibt keine Herren mehr — es 
herrscht nur die Selbstverwaltung der Arbeiterklasse! 

XTV. Die Arbeiisdiziplin der Arbeiterklasse und der 
armen Bauern. 

Die Produktion so zu gesialten, daft man ohne 
lierren, auf genossenschafilicher Grundlage leben kann, 
ist durchaus etwas Gutes. Aber sagen und tun sind zwei 
verschiedene Dinge. Die Schwierigkeiten sind unab- 
gehbar: Erstens, haben wir jefet das Erbteil des ungliick- 
seligen Kriegs schwer zu tragen, der das Land zugrunde 
gerichiet hat. Die Arbeiterklasse mu|j nun die Suppe 
ausloffeln die Nikolaus Romanow mit seinen Ge- 
treuen — den Sfiirmers, Suchomlinows und Protopopows 

— eingebrockt, und die dann von Gutschkow und Rods- 
janko mit ihren Dienern — Kerenski, Zeretelli, Dan und 
der iibrigen Verraiergesellschafi nachgeriihrt wurde; 
ferner hat die Arbeiterklasse die Produktion zu organi- 
sieren, indem sie die Schlage der schlimmsten Feinde ab- 
wehrt; die einen greifen in kannibalischer Gier von aufjen 
an, die andern sind bemjiht, die Arbeiterregierung von 
innen heraus zu sprengen. Damit man unler diesen Um- 
standen siegen, endgiiltig und em- fiir allemal siegen 
kann, mufc die Arbeiterklasse auch ihre eigene Schlam- 
perei besiegen. Wahrend die Arbeisa-rmee organi- 
siert wird, mufc die revolutionare Arbeils- 
d i s z i p 1 i n dieser Armee geschaffen werden. Es gibt 
namlich noch solche Schichten unler den Arbeitern, die 

83 






offenbar nicht daran glauben, daft sie selbst iiber ihr 
Leben verfiigen diirfen. Die Staaiskasse ist doch jefet 
die Arbeiier- und Bauernkasse; die Fabriken sind Volks- 
fabriken: der Grund und Boden ist Nationaleigentum; 
die Waldungen, Maschinen, Bergwerke, Kohlenlager, das 
Inventar und die Gebaude — alles geht an das werk- 
tatige Volk iiber. Die Verwaltung all dessen ist die A r - 
beiterverwaltung. Jekt ist das Verhaltnis des 
Arbeiters Oder des Bauern zu all den Giitern ein anderes 
geworden: friiher gehdrten sie dem Besitzer, jekt 
aber dem ganzenVolke. Der Unternehmer preRfe 
aus dem Arbeiter alles aus, was er konnte. Der heir- 
schaftliche Guisbesiker schund und schropfte den armen 
Bauern oder den Tagldhner. Sowohl der Arbeiter wie 
der Tagldhner waren in ihrem guten Recht, wenn sie sich 
nicht fur verpflichtet hielten, aus Zwang gut zu arbeiten 
zugunsten des Unternehmers, um die Macht und die 
rienschaft seiner Peiniger zu siarken. Deshalb kann 
auch von keiner Arbeitsdisziplin die Rede sein, wenn der 
Arbeiter iiber sich die Peitsche des Kapitalisten, oder 
der Bauer und der Tagldhner die Knute des Gutsbesikers 
schwingen sieht. Ganz anders ist es jekt. Diese Pert- 
schen sind in Rukland vernichtet. Die Arbeiterklasse ar- 
beitet hier fiir sich selbst; sie sdiafft nicht mehr das Geld 
fur den Kapitalisten, sondern verrichtet eine gemein- 
mikige Arbeit, die Arbeit des werktatigen Volkes, das 
friiher versklavt war. 

Und dennoch, wiederholen wir, gibt es solche ziel- 
unbevuBte Arbeiter, die all das nicht einzusehen schei- 
nen. Woher kommt das? Es kommt daher, dak sie ail- 
zulange Sklaven gewesen sind. Sklaven- und Bedienien- 
Gedanken kommen ihm nicht aus dem Sinn. In ihrem 
Innern denken sie vielleicht, dak man ohne Gott und die 
Herrschalten doch nicht auskommen kann. Und so 
nuken sie die Revolution derart aus, daft sie mdglichst 
84 



viel dabei zu profitieren, zu gewinnen suchen — sie 
denken nie an ihre PflicM der Arbeii gegeniiber, daran, 
da& nachlassige und betriigerische Arbeii jefet einVer- 
brechen gegen die arbeitende Klasse 
selbst bedeuiet. Denn nicht zugunslen des Unternehmers 
wird die Arbeit geleisiet, sondern diese Arbeit stiiht die 
Arbeiter und die Armen, die nun am Siaatssteuer sifeen. 
Man betriigt nicht mehr die Direkioien und die Bankiers, 
sondern die Mitglieder der Arbeiterverwaltungsstellen, 
die Arbeiterverbande, die Arbeiter- und Bauern- 
regierung. Wenn man mit den Maschinen nachlassig um- 
geht, wenn man die Instrumente verdirbt, wenn man die 
Arbeitszeii verirodelt, damit doppelt bezahlte Ueber- 
stunden herauskommen — so wird dadurch nicht ein 
Unternehmer beirogen, nicht ein Kapitalist geschadigt, 
sondern die ganze Arbeiterschaft in ihrer Ge- 
s a m i h e i t. Dasselbe ist auf dem Lande der Fall: Wer 
heutzutage dasWirischaftsinventar raubf, dAden Bauern 
und Landarbeitern zur Verfiigung gestellt wird, der be- 
stiehlt nicht etwa einen Guisbesiber, der schon langst 
abgesefet ist, sondern die Gesellschaft. Wer ungeacfetet 
des Verbots von seiten der Arbeiterorganisationen Wald 
fallt, der bestiehlt die Armen. Jeder, der anstatt auf dem 
dem Gutsbesiber abgenommenen Lande zu arbeiten, Ge- 
treideschiebungen oder Schleichhandel betreibt, der ist 
ein Betriiger und ein Verbrecher gegen die Arbeiter und 
die Bauern. 

Es leuchiet nun einem jeden ein, da|, damft die Pro- 
duktion auf die Beine gestellt und organisiert werde, die 
Arbeiter auch sich selbst organisieren und eine eigene 
Arbeitsordnung schaffen miissen. In den Fabriken und 
den Werken miissen die Arbeiter darauf achten, da| 
jeder Genosse das erforderliche Arbeitspensum leiste. 
Die Gewerkschaften und die Betriebsrate verwalten die 
Produktion. Sie konnen die fagliche Arbeiiszeit nach 

85 



Mdglichkeii verkiirzen — und wir wollen eine so gufe 
Produkiionsorganisaiion ansireben, da& jede Sdiidni 
nichi acht, sondern nur noch s e ch 5 Sfunden arbeite. 
Aber dieselben Arbeiterorganisationen, und mit ihnen 
die Arbeiierregierurtg und somit audi das gesamie ar- 
beifende Volk diirf en und miissen fordern, dak ihre 
Miiglieder mit dem Volksgut am sparsamsten umgehen 
und ihre Arbeit am gewissenhaftesien verrichien. Die 
Arbeiterorganisationen — und vor allem die Gevverk- 
sdiafien — stellen selbst die Produktionsnorm auf, d. h., 
dasjenige Quantum des betreff enden Produktes, das je- 
der einzelne im Lauf e einesArbeiisiages zu erzeugen hat. 
Wer dieses Quantum nicht liefert (Krankheit oder 
Schwache wild dabei naiiirlich berlicksichtigi), der s a - 
b o t i e r t , d. h., der schadigt die grofce Sache des Auf- 
baues der neuen, freien, sozialen Ordnung, der hindert 
die Arbeiterkiasse, den Weg zum voilkommenen Korn- 
munismus zugehen. 

Die Produktion ist wie eine Riesenmaschine, deren 
alle Teile zueinander passen und gleich gut gehen 
sniissen. Ein schlechtes Werkzeug bei einem gulen Ar- 
beiter ist Unsinn; ein gutes Werkzeug bei einem sdilech- 
ten Arbeiter ist ebenfalls Unsinn. Sowohl der Arbeiter 
wie das Werkzeug in seinen Handen miissen gut sein. 

Deshalb miissen wir aus aller Kraft die Lieferung 
von Brennstoffen und Rohmaterial organisieren, die Be- 
tdrderung^ordnen, das Brennmalerial und die Rohsfoffe 
g!eichma|ig verteilen und andererseits auch alle Mak- 
nahmen ergreifen, damil Selbstdisziplin, Ordnung und 
gewissenhaftes Arbeiien aufrecht erhalten werden. 

In Rukland ist das schwerer zu erreichen als in jedem 
anderen Lande. Die Arbeiterkiasse (und iim so weniger 
die armen Bauern) ist hier nodi nidit durch die lang- 
iahrige Schule der Organisation gegangen, wie die Ar- 
86 



beiter Wesieuropas und Amerikas .Wir haben viele Ar- 
beiier, die jefet erst zu Arbeitern geworden sind, die sich 
jebt erst an ein gemeinsames Arbeiien gewdhnen 
und sich den Gedanken abgewohnen, dag sie „all das 
einen Pfifferling angehe!" Solche Elemenie streben siets 
verschiedenen Zielen zu. Je mehr Leuie es gibt, die ini 
Kopfe haben: „Soll ich am Ende seibst ein Geschaft an- 
fangen, Geld auftreiben und einen Laden auftun? . ." — 
um so schwerer wird es sein, . eine richhge Arbeits- 
disziplin einzufiihren. Aber um so starker mug das Be- 
ireiben des Vorirupps der Revolution — der aufge- 
klartesien Arbeiier und der Arbeiter organisaiio- 
n e n — sein, diese Disziplin einzusefeen, durchzufiihren 
und zu befestigen. Gelingt das, dann wird es auch ge- 
lingen, alles zu organisieren; und die Arbeiterklasse wird 
als Siegerin hervorgehen aus den Schwierigkeiten, die 
geschaffen worden sind: Durch den Krieg, die allge- 
meine Zerriittung- die Sabotage und die ganze Bar- 
barei und Brutalitat des kapiialistischen Systems. 



XV. Das Ende der . Geldherrschafi. 

(„S taatsfinanzen" in der Raterepublik 
und Geldwirtschaft.) 

Geld — das ist jefet eine Art Schein zum Empfang 
von Waren. Wer viel Geld hat, der kann also viel 
kaufen, der ist reich. So tief auch der Geldwert sinken 
mag — wer mehr davon hat, dem geht es besser. Die 
reichen Klassen, die Geld in Hiille und Fiille haben, leben 
einen guten Tag. So haben in der Stadt die Handler, 
Kaufleute, Kapitalisten und Spekulanten, auf dem Lande 
die Kriegslieferanten, die wahrend des Krieges unge- 
heuerlich viel zusammengeschachert haben, Hundert- 
tausende buntfarbiger Papierscheine zusammengeschart 

87 



Es ist soweii gekommen, dak sie das Geld in Kisten und 
Glasern in die Erde vergraben, so viel Scheine be- 
siijen sie. 

Aber der Arbeiter- und Bauernstaat brauchl Geld. 
Alle weiteren Ausgaben von Papiergeld driicken seinen 
Wert herab: je mehr Papiergeld ausgegeben wird, um 
so billiger wird es. Doch miissen die Fabriken und 
Werke mil Hilfe von Geldscheinen unterhalten werden; 
die Arbeiter miissen entlohnt werden; die Verwaltung 
mu& ausgehalten, die Angestellten miissen bezahlt 
werden. Woher das Geld nehmen? Dazu miissen vor- 
derhand die reichen Klassen besteuert werden. 
Einkommen- und Vermogenssteuer, da. c 
heifct Besteuerung der groken Einkommen und der 
groken Vermogen — das muk die Grundsieuer sein, die 
Steuer der Reichen, derjenigen, die einen Einkommen- 
iiberschuk haben. 

Jekt aber, inmitten des Revolutionsfiebers, da es 
schwer fallt, eine regelmaftige Steuereintreibung durdi- 
zufiihren, jefet sind auch alle anderen Formen der Geld- 
beschaffung zulassig und zweckma&ig. Zweckmakig und 
richiig ist zum Beispiel folgende Maftnahme: die Re- 
gierung erklart, bis zu dem und dem Termin miissen alle 
Geldscheine in neue eingetauscht werden, da das alte 
Papiergeld aufter Kraft trete. Das bedeutei so viel, dak 
jedermann seinen Strumpf und sein Geheimfach leeren 
und das Geld auf die Bank bringen muk. Und nun kanr 
man folgendermaken verfahren. Die Ersparnisse der 
kleinen Leute werden unangetastet gelassen: man zahlt 
Rubel fiir Rubel aus, iauscht jeden alten Rubel in einen 
neuen um; von einer bestimmien Summe an wird aber 
ein Teil zugunsten des Staates zuriickbehalten, und zwar, 
je hdher die ersparte Summe ist, um so mehr wird zu- 
riickbehalten, — etwa so: bis zu fiinfiausend wird der 
ganze IBetrag eingetauscht, von den folgenden fiinf- 
88 



iausend Rubeln wird der zchnfe Teil eingezogen, vom 
drifien Firnf iausend der siebenie Teil, vom vierten der 
vierie Teil, vom funffen die fialfie, vom sechsten drei 
Vieriel, und von einer beslimmien Summe aufwaris wird 
der Belrag ganz konfisziert. 

Somit ware die Macht der Reichen geniigend unier- 
graben, fur die Bediirfnisse des Arbeiiersiaaies haite 
man genug Miilel, und aile waren mehr oder minder in 
ihren Einkommen g'eichgesteilf. 

In Revoluiionszeifen ist audi die Erhebung einer 
Extrasteuer von der Bourgeoisie zulassig; das hei&t, es 
werden laui Veriugung der Sowjclinslanzen zwangs- 
weise einmalige Beiirage erhoben. Aber es ist nicht 
rechf, wenn der eine Raj die Bourgeoisie auf die eine 
Weise belasiet, ein anderer auf eine andere, ein drifter 
auf eine driite; das ist ebenso unzulassig, wie eine 
Mannigfaltigkeit in der lokalen Besfeuerung. 

Infolgedessen muS-danadi gesirebt werden, 
dag der ganze Steuerapparat vereinheiilichf, nach einem 
gemeinsamen Plan durchgcfuhri werde, der fur die 
ganze Raierepublik anwendbar ware. Solange das nicht 
der Fall ist, sind Exlrasteuern zulassig. „In der Not frifet 
der Teufcl Fliegen", sagt das Sprichwort. Man mug nur 
eingedenk scin, dafi die Aufgabe der Partei, die Aufgabe 
der Rale, die Aufgabe der Arbeiterklasse und der 
armen' Dorfbevolkerung gerade darin besteht, die 
Sfeucrerhebung zu vereinheillichen und zu zentralisieren, 
auch hierin Ordnung zu schaffen und planmaftig die 
Bourgeoisie aus den Schiifeengraben ihrer okonomi- 
sdipn Front auszurauchern. 

Es sei jedodi bemerkt, dafi je besser die Produklion 
organisiert ist und auf Grund des neuen Arbeilsprinzips 
funkiioniert, um so fiefer sinkt die Bedeutung des 
oeldes u berhaupt. Wahrhaflig. Frliher, zur Zeit 
der Merrsdiaft des Privaiuniernehmertums verkauften 

80 











die Privaiuniernehmen ihre Waren an einander; jeht aber 
vereinigen sich mit der Zeit diese Betriebe und verwan- 
deln sich in verschiedene Abieilungen der gesellschaft- 
lichen Produktion. Die Produkie werden niclii auf dem 
Weye des freien Marklverkehrs verfeilf, sondern plan- 
mafeig, laut den Verordnungen der Arbeiierorgane. Wir 
sehen also hier dieselbe Geschichie, wie bei den Kapiia- 
listen in den sogenannten kombinierien Belrieben. 

Kombinierie (zusammengesekie) Betriebe nennt man 
solche Unternehmen, die verschiedenartige Pro- 
duktionsgebieie umfassen. In Amerika, z. B., hat man 
Unternehmen, die sowohl Metalhverke besiken, wie 
Kohlengruben, Eisenminen end Dampfschiffahrisgesell- 
schaften. Ein Teil des Uniernehmens liefert dem andern 
das Rohmaterial oder besorgt die Belorderung des fer- 
tigen Produkts. Da aber alle einzelnen Zvveige T e i 1 e 
eines und desselben Uniernehmens sind, 
so verkaufi naiurlich der eine Betrieb seine Erzeugnisse 
dem anderen Betrieb nicht, sondern die erzeuglen Pro-" 
dukte werden laut Anordnung des fur alle Teile des kom- 
binierien Uniernehmens gemeinsamen, zentralen 
Biiros verteilt. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: 
In einer Fabrik geht irgendein Malbfabrikai von der einen 
Ableilung in die andere iiber, so da& i n n e r h a 1 b der 
Fabrik Kauf und Verkaut nicht staaitfindet. Genau das- 
selbe wird in der Gesamtprodukiion der Fall sein. Wenn 
die hauplsachlichsten Zweige der Produktion organisiert 
sein werden, dann werden sie sich in ein riesiges gesell- 
schafiliches Unternehmen verwandelt haben mit einer 
gemeinsamen Arbeiterverwallung — ein Unternehmen, 
unter dessen alien Teilen eine richfige Verleilung der 
notwendigen Produktionsmillel: der Brennstoffe, des 
Rohmaterials, der Halbfabrikate, der Hilfsmaterialien 
usw. staiilinden wird. Und das heiBi soviel, dafj das 
Geld seine Bedeutung verlieren wird. Es hat nur dann 
90 






eine Bedeutung, wenn die Produklion nichi organisieri 
ist; je organisierier diese isi, umso geringer wird die 
Rolle des Geldes, und infolgedessen falli audi das Be- 
diirfnis danach weg. 

Und die Enllohnung der Arbeiter? — wird man uns 
fragen. Audi hier immer wieder dieselbe Geschichie. 
Je organisierier in den Handen der Arbeiier die Gesami- 
produktion sein wird, desto weniger werden die gesell- 
schafilichen Arbeiter mit Geld, und umsomehr in natura, 
das hei&i mit Lebensmirteln, bezahlt werden. Wir 
sprachen bereits von den Konsumkommunen und Ar- 
beitsbiichern. Laut den Eintragungcn in den Arbeiis- 
biichern werden die Arbeiter aus den bffenilichen Lager- 
hausern die Produkte erhalien, die sie brauchen werden, 
ganz ohne Geld, nur auf Grund der Bescheinigung, da(j 
der Betreffende arbeitet und scliaf ft. Natiirlich kann die 
Sache nicht mit einem Mai in Kraft treten. Es wird viel 
Zeit vergehen, bis all das organisieri und eingerichtei 
sein wird, bis alles klappen wird. Es handell sich urn 
eiwas Neues, nodi nie Dagewesenes, und daher audi 
ungeheuer Schwieriges. Aber das eine ist klar: je mehr 
die Arbeiter die Produktion und die Produkfenverteilung 
beherrschen werden, desto weniger Bediirfnis wird man 
nach dem Gelde haben — • und so wird es nach und nach 
absterben. 

Ohne Geld sebt audi der „Tauschverkehr 
zwischen Siadt und Land" ein: die sfadlischen 
Ihdustrieorganisaiionen liefern den Dorfern Texiilwaren, 
Eisenprodukfe usw; die landlid^.en Organisationen ver- 
sorgen dagegen die Stadtbewohner mit Brot. Und audi 
da wird die Bedeutung des Geldes umso geringer wer- 
den, je enger uniereinander die Arbeiierorganisaiionen 
der Arbeiier und der armen Dorfbevolkeung verbunden 
sein werden. 



Jeki, in diesem Augenblick brauchi die 
Arbeiterregierung Geld und zwar sehr. Denn die Or- 
ganisation der Produkiion und der Verteilung b e g i n n i 
erst jeki Form anzunehmen, und das Geld spielt eine 
sehr, sehr grofte Rolle. Die Finanzen — der Geld- 
umsak des Staates — sind momentan von groker Be- 
deutung. Deshalb erhebt sich in ihrer ganzen Scharfe 
die Steuerfrage: die Sieuern sind unbedingi not- 
wendig; der Geldiiberschuk der Stadt- und Dorf- 
bourgeoisie muft unbedingt konfiszieri werden; von Zeit 
zu Zeit mlissen Exirasteuern erhoben werden. 

Aber mit der Zeit wird audi das Steuerwesen ab- 
sterben, Schon jeki versdiwindet, insofern die Produk- 
tion verstaatlicht ist, der Profit in den Handen der Kapi- 
talisten; exisiieren einmal die Gutsbesiker nicht mehr, so 
versdiwindet auch die Besteuerung des Einkommens der 
Grundbesiker, der sogenannien Bodenrente. Sind den 
Hausbesikern die Hauser genommen, so versdiwindet 
audi diese Quelle der Besteuerung. Der Reichtums- 
iiberschuk wird konfisziert, die Reichen verlieren ihren 
Stukpunkt und alle werden allmahlich zu Arbeitern im 
Dienste der proletarisdien Staatsorganisaiion. CSpater, 
bei vollkommenem Kommunismus, wenn audi der Staat 
abgestorben sein wird, werden sidi alle, wie wir gesehen 
haben, in gleidie Genossen verwandelt haben, und jede 
Erinnerung an die Einteilung der Menschen in Bourgeoi- 
sie und Arbeifer wird verschwinden.) 

Demnach ist klar, dag es einfadier ist, von vorn- 
herein weniger zu zahlen, als mehr Gehalt zu geben und 
danach einen Teil des Geldes in Form von Steuern ab- 
zuziehen. Wczu Kralte und Mittel auf diesen Umv/eg 
vergeudenl 

Andererseifs aber haben wir gesehen, dak das Geld 
keine Rolle mehr spielt, wenn Produkiion und Verteilung 
r e s 1 1 o s orcanisiert sind. Niemand brauchi dann 
92 



irgendweiche Abgaben mehr zu entrichien. Das Geld 
wird Liberhaupi nichi mehr noiig sein. Auch die 
Svaaisleiiung wird es also nicht mehr brauchen. Die 
Finanzwirischafi wird e i n g e h e n. 

Wir wiederholen: wir sind noch bei weiiem nicht so 
weit. In nachsier Zukunft kann davon noch nicht die 
Rede sein. Jebt mlissen wir dafiir sorgen, da& OeldmiUel 
aufgebracht werden. Aber auch jefet schon uniernehmen 
wir gewisse Schriiie, die uns auf dem Wege der Ver- 
nichiung des GeldsYsiems iiberhaupt vorwaris fiihren. 
Die Gesellschafi verwandeli sich in eine riesige Arbeiis- . 
genosesnschaft, die produziert und das Produzierte ohne 
jede Zuhilfenahme des Goldes oder des Papiergeldes 
verteilt. Die Herrschaft des Geldes geht zu Ende. 

XVI. Keine Handelsbeziehungen zu dem 

imperialisiischen Ausland fiir die russischen Bourgeois! 

(Nationalisierung des Aufjenhandels.) 

Heutzutage lebt jedes Land unier den andern Lan- 
dern und isi von diesen sehr abhangig. Ohne den 
Handel mii den andern Landern geht es sehr schlecht; 
das eine Land erzeugt mehr von den einen Produkten, 
ein anderes Land mehr von den anderen. Das blockierte 
Deuischland splirt an eigener Maui, wie schlecht es ohne 
fremde Zufuhr auskommen kann. Und hatie man, zum 
Beispiel, die Blokade Englands ebenso streng durch- 
gefiihrt, wie die Deuischlands, so ware England schon 
langst verloren. Die russische, von der ArbeiterklassC 
verstaailichie, Industrie kann ebenfalls die Zufuhr ge- 
wisser Waren aus dem Auslande nicht enibehren. An- 
dererseiis braucht das Ausland, besonders Deuischland, 
Rohstoffe. Man lasse keinen Augenblick aufjer acht, 
dag wir inmiiien der Raubsiaaten des Kapitals leben, und 
so ist es nicht verwunderiich, wenn diese Raubsiaaten be- 






strebt sein werden, alles, was sie brauchen, sich auf dem 
Wege des Raubes anzueignem Zugleidi wird die russi- 
sche Bourgeoisie, dor so viele Hindernisse in Ru&Ianu 
in den Weg gelegt sind, mit alien Miiieln danach trachfen, 
sich mit den auslandischen lmperialisfen zu verbiinden. 
Die auslandischen Bourgeois konnen unzweifelhaft die 
russischfin Spekulanten weit besser bezahlen, als unsere 
einheimischen, vaterlandischen, echirussischen Bourgeois 
dazu imstande sind. Der Spekulant aber bedient den- 
jenigen, der besser zahlt. Es ware naiurlich nicht zum 
Heil der Sozialisiischen Sowjetrepublik, wiirde man 
unsere Bourgeoisie allerlei Wares; frei nach dem Aus- 
land exporiieren und die auslandischen Marodeure hief 
frei alle beliebigen Geschaftchen abwickeln lassen. 

Wenn friiher die Frage des Au&enhandels diskutiert 
wurde, war der shittige Punki der: soil man die aus- 
landischen Waren mit hohen Einfuhrzollen belegen, oder 
soil man diesen Zo31 im Gegenteil ganz aufheben? In 
den lekien jahren der Herrschsff des Kapitals traten die 
Induslriellen stark fiir eine Poliiik der hohen Zolle ein. 
Dadurch kamen die Syndikaie zu ihren hohen Profiten: 
im Lande selbst waren sie die Monopolbeherrscher des 
Marktes und haiien keine Konkurrenten; die Mauer der 
Zolle versperrie dem Ausland den Weg. Mit Hilfe der 
hohen Einfuhrzolle konnien also die Syndikatsmitglieder, 
das heiijt die grofjen Tiere des Kapitals, ihre Landsleuie 
schamlos schinden. Es ging sogar so weit, dak Syndikaie 
die Schindbegiinstigung ihrer Landsleute dazu benuhien, 
urn Waren zu niedrigen Preisen nach dem Auslande zu 
exportieren, urn ihre Konkurrenten, die Syndikate des 
Auslands zu vcrdrangen. Natlirlich galten diese niedri- 
gen Preise nur fiir kurze Zeit. Sobald sie ihre Konkur- 
renten heruniergekriegi hatien, wurden auf den neu- 
gewonnenen Markten die Preise in die Hdhe geschraubt. 
Zur Ermoglichung einer solchen Taktik brauchen sie eben 
94 



Schu&zolle. AIs die Sydikaie vom S ch u b cfer ein- 
heimischen Industrie redeien, war es ihhen in der Tai 
darum zu tun, ein A n g r i f f s mitiel, ein Mitiel zur 6ko~ 
nomischen Eroberung der Aufjenmarkie zu haben. Und 
wie es steis in solchen Fallen isl, verbargerr sie, die Be- 
rufsbetriiger, ihre Raubgeliisle unier dem Deckmanlel 
eines angeblichen Schu^es der naiionalen Interessen. 

In Anbeiracht dessen sielllen einige Sozialisfen die 
Parole des Freihandels auf. Das wiirde so viel be- 
deulen, dafe alles dem freien okonomischen Wetibewerb 
der verschiedenen Bourgeoisicn iiberlassen ware. Aber 
diese Parole hing in der Lufi und war einfach unbrauch- 
bar. Warum sollte der Syndikaismann auf seine Pro- 
file verzichten? Und erhalt er nun einmal diese Profile 
dadurch, dass er sich mil hohen Schufezdilen von seinein 
auslandischen Konkurrenlen absperrl — warum sollle ef 
auf diese Schufszolle verzidiien? Zuerst m u (j also der 
Syndikaismann gesliirzl werden, zuerst 
mufj die sozialislisdie Revolution kommen. Das war die 
Anrworl der wirklichen Sozialisfen, unsere Anlworl, die 
der Kommunisien-Bolschewiki. Sozialislisdie Revolu- 
tion, das bedeulet die Einfuhrung einer Ordnung, bei der 
sich alles in den Handen der zum Slaale orga* 
nisiertenArbeiierklasse befande. Wir haben 
bereits gesehen, welchen Schaeen der Privathandei 
innerhalb des Landes verursachi. Ein soldier rlandel 
zwisdien den Landern ist nicht minder sdiadlidi. Es 
ware also purer Unsinn: den Freihandel im Innlande auf- 
zuheben, und ihn mil dem Auslande aufrechtzuerhalten. 
Oenau so iorichl erscheinl vom Siandpunkie der Ar- 
beiterklasse das System der besonderen Besleuerung 
der auslandischen Kapilalislen. Ein driller Ausweg 
ist vonnbien, und dieser Ausweg bestehl in der 
Nalionalisierung Coder Verslaailichung) des 

95 






Augen hand els durch den proleiarischen 
S t a a t. 

Was bedeuiet das? Das bedeutet, dass keiner der 
Einwohner Rujjlands das Recht hat, mil den Kapiialisien 
des Auslandes Geschafie zu schliefcen. Wird einer dabei 
eriappt, so erhalt er eine Geldsirafe oder komrnl ins 
Geiancnis. Den gesamten Au&enhandel besorgt der Ar- 
beiter- und Bauernsiaai. Er schlie&i von Fall zu Fall alle 
geschafllichen Abmachungen ab. Angenommen, die 
A\merikaner bieten uns Maschinen an und verlangen dafiir 
so und soviel Waren oder ein gewisses Quantum Gold. 
Die Deutschen bieten aber dieselben Maschinen zu einem 
andern Preis und zu anderen Bedingungen an. Die Or- 
ganisationen der Arbeiter (der Regierung, der Sowjefs) 
enischeiden, ob man dieses Geschaft abschliefcen soli 
und wessen Angeboi vorieilhafier sei. Wo es vorteil- 
hafter ist, dort wird auch gekauft. Die Bevolkerung er- 
halt die gekaufien Produkte ohne jede Preistreiberei. 
Denn der Handel wird ja in diesem Fall nichi von den 
Kapitalisten, die den Arbeiter ubervorleilen, abgeschlos- 
sen, sondern von den Arbeiiern selbst. Auf diese Weise 
wird die Herrschaft des Kapitais auch aus diesen 
Schiibengraben vertrieben. Die Arbeiter miissen den 
Aukenhandel in ihre eigenen Hande nehmen (sie tun es 
auch, und taten es) und ihn so organisieren, dass kein 
einziger Scrp.eber, kein einziger Schleicher, kein einziger 
Brandschaher durcli die Maschen der sirengen Aufsicht 
schlupfen kann. 

Freilich muss auch hierbei gegen die kapitalisiischen 
Schmuggler strengstens, ohne jegliche Nachsidit ver- 
fahren werden. Man mug sie ein fur alle Mai von alien 
Tricks abgev/ohnen. Die Angelegenheiten des Wiri- 
schafislebens sind nun die der werkiatigen Massen. Nur 
auf dem Wege einer weiieren B e f e s t i g u n g einer 
derariigen Ordnung wird die Arbeiterklasse ihre end- 
96 



giilfige Befreiung von alien Ueberbleibseln des verruch- < 
ten kapitalisiischen Regimes erlangen. 

XVII. Neben der wirlschafilichen die geisrige Befreiung! 
(K i r ch e und Schule in der Raterepublik.) 

Die Arbeiierklasse und ihre Pariei — die Pariei der 
Kommunislen-Bolschewiki — sireben nicht nur jiach einer 
wirischafilichen Befreiung, sondern audi zugleich nadi 
der geistigen Erlosung der werktatigen Massen. Die 
dkonomisdie Befreiung selbst wird umso erfolgreicher 
vor sich gehen, je sdineller der Proletarier und der Land- 
arbeiier sich den ganzen Unsinn aus dem Kopfe schlagen 
wird, den ihm alle seine Herrschaften, die Guisbesiker, 
Fabrikanten und Bourgeois eingepauki haben. Wir 
haben ja gesehen, wie geschicki die herrschenden Klas- 
sen friiher die Arbeiter von alien Seiten zu umsiricken 
wufcten, sowohl mit ihren Zeitungen, Schrifien 1 und Blaf- 
iern, wie mit Hilfe ihrer Pfaffen, ja selbst durch die 
Schule, die sie aus einem Werkzeug der Aufklarung in 
ein Instrument zur Verdunkelung des VolksbewuRtseins 
zu machen verstanden. 

Ein Miffel zur Verdunkelung des Volksbewusstseins 
bildet der Glaube an einen Goit und einen Teufel, an 
bose und gute Geisfer (Engel und Heilige), iiberhaupt die 
Religion. Die groke Masse der Menschen ist ge- 
wohnt an all das zu glauben; doch untersucht man es 
naher und begreift, woher die Religion herriihrt, und 
warum die Religion von den iierren Bourgeois so sehr 
gefordert wird, dann wird die ganze Bedeutung der Re- 
ligion klar: es ist das Gift, mit dem das Volk vergiftet 
wurde und vergiftet wird. Dann wird auch begreiflich, 
warum die Komunisten-Partei eine so entschiedene Geg- 
nerin der Religion ist. Die moderne Wissenschaft hat 
nachgewiesen, dass die ursprungliche Form der Religion 
die Verehrung der Seelen der verstorbcnen Ahnen war. 

' 97 



Diese Verehrung hat dann begonncn, als in der mensdt- 
lichen Urgesellschafi die sogenannten Siammes- 
a 1 1 e s t e a auffauchten und in Schwung kamen, d. h., 
die reichstcn, erfahrensien und weisesten alien Manner, 
welche die iibrigen Mitglieder der Gesellschaft bereiis 
beherrschien. Ganz am Urbeginn der Geschichie 
der Menschheii, als die Menschen noch wie lierden von 
Halbaffen !ebten, waren alle uniereinander gleich. Ersi 
spater kamen die Aeliesten auf, die alle iibrigen zu be- 
fehligen begannen. Sie anzubeien fing man zuallererst 
audi an; die Anbetung der Seelen der verstorbenen 
Reichen — das ist die Grundlage der Religion; und diese 
heiligen Goken nahmen dann die Gestali des strengen 
Goites an, der sirafi und lohnt, riditet und regiert. Unier- 
suchen wir nun, wie die Menschen dazu kamen, auf diese 
Art alies vorkommende in der Welt zu erklaren. Der 
Mensch pflegt namlich alle Dinge, die ihm fremd sind, so 
zu belrachien, da& er sie mit ihm vertrauten Dingen ver- 
gleichi: er mikt das Feme und Unbekannte mit dem 
Makstab des Nahen und Bekannfen. Ein Gelehrter fiihrt 
folgendes Beispiel an: Ein kleines Madchen, das auf 
einem Gut mit Huhnerzuchi aufwuchs, hatie bestandig 
mit Eiern zu tun; ewig schwirrten die Eier vor seinen 
Augen; und als die Kleine einmal den gesiirnten Himmel 
erblickte, meinte sie, der Himme! ware mit unzahligen 
Eiern bedeckt. Solche Beispiele lassen sich in Unmengen 
anliihren. Dasselbe ist auch hier der Fall. Der Mensch 
sah iiberall Menschen, die gehorchten und solche, die 
befahlen; cr konnte alleroris dasselbe Bild beobachten: 
der Aeltesfe (und spater der Fiirst), umgeben von 
seinen lielfern, der erfahrendste und weiseste, der 
machtigste und reichste befiehlf, und wie er es haben 
will, so handeln die iibrigen, — sie gehorchen ihm! Eben 
diese Weltordnung, die man taglich und stiindlich beob- 
achten konnte, gab die Veranlassung, alle Geschehnisse 
98 



im Weliall nach demselben Muster zu erklaren. Hat doch 
die Erde einen Herrscher und Beherrschte. Folglich miisse 
audi die ganze Welt so eingerichtei sein. Das Weltail 
werde von einem Herrn regiert, der groB, machiig und 
streng sei, von dem alles abhange und der jedwede 
Uebertretung streng strafe. Dieser Herr der Welt sei 
eben G o 1 1. So enisieht der Gedanke eines Gottes im 
Himmel dann, wenn auf der Erde aus der urspriinglich 
einheitlichen Gesellschafi sidi die Macht der Slammes- 
altesten aussondert. 

Inieressani ist, dass alle Benennungen Gottes aut 
diesen Ursprung der Religion hinweisen. In den slavi- 
schen Sprachen haben die Worier „Bog" (Got!) und „Bo- 
gaty" (reich) denselben Siamm. Das heikt also, Goit isi 
der Machiige, Starke, R e i ch e. Ferner wird Gott audi 
„Herr" genannt. Also — H e r r, im Gegensafc zu Knecht. 
In den Gebeten hei(ji es audi: „Wir sind deine Knechte" 
(oder Diener). Gott wird audi als der „HimmeIsk6nig" 
angesprochen, manchmal audi: „Herrsdier" usw. Das 
Wort Herrscher bedeutet eine Person, die Viele be- 
herrscht, audi viel b e s i k t. Was isi also Gott? Er isi 
ein angeblidi existierender reidier machtiger Herr, Herr- 
scher, Sklavenhalter, „HimmeIskonig", Ridiier — kurz, 
eine genaue Kopie der irdischen Machi der Stammes- 
allesten oder spateren Fiirsien. Als die alien Juden von 
ihren Fiirsten regiert waren, von denen sie gestraft und 
auf jede Art gepeinigi wurden, da kam die Lehre vom 
bosen und strengen Goiie auf. Das war der Gott des 
Alien Testaments. Ein grausamer Greis, der seine Unter- 
fanen unbarmherzig siraft. Sehen wir uns nun den Gott 
der russischen Kirche an. Die belreffende Lehre 
enistand in der Byzanz, einem Lande, das das Vorbild 
des auiokratisdien Regimes gelieferi hat. An der Spike 
stand der autokraiische Monarch, um ihn herum die Mi- 
nister; dann kamen die hohen Wiirdentrager, noch tiefer 

99 






ein ganzes Nek' von kleineren Beamten. Die griechisch- 
kaiholische Kirche ist ein genaues Abbild dieser Ord- 
nung. Oben sikt der „Himmelskonig" (Himmelszar). Urn 
ihn herum siken die machtigen Heiligen (z. B., Nikolaus 
der Wunde.iater, die Mutter Gottes — etwa die Zarin- 
Muiter, die Gattin des Heiligen Geistes), das sind die 
Minister; nodi iiefer folgt eine ganze Stufenleiier von 
Engeln und Heiligen, die dem Rang nach geordnei sind, 
ganz wie die Beamten irn auiokratischen Reich. Man 
spricht sogar von den „T s ch i n s" (den Aemie'rn) der 
Engel und Erzengel. Und das Wort „T s ch i n" zeigt, 
dass wir es hier mit „T s ch i n o w n i k s" (Beamten) zu 
tun haben. („Tschin" und „Tschinownik" haben denselben 
Stamm.) Diese „Tschins" (Aemier) kommen auf den 
Heiligenbildern in dem Sinne zum Ausdruck, dak der~ 
ienige Heilige, der einen hoheren Rang hat, prachiiger 
gekleidet ist, einen schbneren Heiligenschein hat, also 
gewissermafjen mehr „Orden" besihi — ganz wie auf 
unserer siindhaften Erde. Im auiokratischen Staat ver- 
langt der Tschinownik unbedingt „Schmiergelder", sons! 
riihrt er keinen Finger; deshalb mufj man audi dem Hei- 
ligen eine Kerze widmen — sonsi wird er bdse und ver- 
mittelt kein Billgesuch an die hohe Obrigkeit, die Gott- 
heit. Beim auiokratischen Regime gibt es besonderc 
Beamie, die speziell — fur Geld und gule Worie (Be- 
siechung) die Rolle von Fiirsprechern spielen. So gibt es 
auch spezielle Heilige, besonders Frauen, die als „Fur- 
sprecher!' gelten. Zum Beispiel, die Mutter Goiies — sie 
i«t berufmaBige Fiirsprecherin (es heiki ja: „Bete fb'r 
vns"D. Uebrigens lasst sie sich daflir bezahleq: man 
muft fiir sie mehr Tempel bauen, als fur die anderen, man 
muk ihr Madonnenbilder widmen, sie mit kosibaren 
Juwelen sdimiicken, u. a. m. 

Der Oteube an Gott isi also das Abbild der 
niedertrachiigen irdischen Beziehungen, 

too 



das ist der Glaube an das Sklaventum, das angeb- 
lich nichi allein auf der Erde sondem im ganzen Weltall 
exisiiere. Selbsiversiandlich ist in Wirklichkeit nichts von 
alledem wahr. Aber ebenso selbsiversiandlich ist auch, 
daft diese Ammenmarchen die Entwicklung der Mensch- 
heit hemmen. Die Menschheii schreitet nur dann vor- 
warts, wenn sie flir eine jede Erscheinung eine n a 1 ii r - 
1 i ch e Erklarung sucht. Wenn aber anslelle einer Er- 
klarung Gort und die Heiligen, oder Teufel und Geisier 
ins Spiel gezogen werden, dann kann nichts Geheures 
dabei herauskommen. Wir wollen ein Paar Beispiele an- 
fiihren. Manche fromme Leute glauben, wenn es donnert 
— so fahrt der Prophet Elias in seinem Wagen. Sobald 
sie donnern horen, enibloften sie ihr Haupt und bekreu- 
zigen sich. In Wirklidikeit aber ist die Kraft der 
Elektriziiat, die den Donner erzeugt, der Wissen- 
•schafi wohlbekannt; mil Hilfe dieser Kraft bewegt sich 
die elektrische Bahn, die als Beforderungsmittel dient. 
Demnach also ware der Prophet Elias dazu da, urn z. B. 
Mist zu fahren — unser Elias ware also ein ausgezeich- 
neter Fuhrmann! Angenommen, wir wiirden an den Pro- 
pheten Elias glauben. Dann halten wir nie und niemals 
die elektrischen Bahnen zu sehen bekommen. Dank der 
Religion waren wir.also in der B a r b a r e i sleeken ge- 
blieben. Ein anderes Beispiel. Ein Krieg bricht aus, 
Millionen von Menschen werden zugrunde gerichtet, 
Meere von Blut werden vergossen. Wie soil man das 
erklaren? Diejenigen, die nicht an einen Gott glauben, 
fragen nach dem Wie, Was und Warum; sie sehen, daft 
der Krieg von den Konigen und Prasidenten, der Groft- 
bourgeoisie und den Gulsbesihern angezettelt wurde, sie 
sehen, dass-^er Krieg zu unlauferen Raubzwecken dient. 
Und deshalb rufen sie den Arbeitern aller Landern zu: 
..Ergreift die Waffen gegen eure Unlerdriicker, stiirzt das 
Kapital von seinen Thronenl" Ganz anders der religiose 

101 












Mensch. Er denkt so (und stohnt dabei wie ein alfes 
Weib): „Goii hat uns wegen unscrer Siinden geziichiigi. 
Ach, Vater im liimmel, Himmelskonig, mii Redii hast du 
uns Sunder bcsiraft". Und wenn er sehr fromm ist und 
dazu nodi zur griechisch-kaiholischen Kirche gehort, be- 
ginnt er eifrig an bestimmien Tagen (man nennt sie Fast- 
tage) eine bestimmie Art von Speisen zu sich zu nehmen 
anstait der anderen, seine Stirn an die Sleiniliesen der 
Kirdie zu schlagen und noch tausend andere Dummheiten 
zu machen. Ebensolche Dummheiten begeht der fromme 
Jude, der mohamedanische Tatare, der buddhistischc 
Chinese, kurzum, jeder, der an einen Gott glaubt. Daraus 
folgt, dass ehrlich glaubige Menschen zu keinem Kampfe 
fahig sind. Die Religion lasst also das Volk nicht allein 
im Zustande der B a r b a r e i , sondern tragi audi noch 
dazu bei, dass es in S k 1 a v e r e i verharrt. Der reli- 
giose Mensch ist eher geneigi zu glauben, dafj man alles 
ohne zu murren ertragen miisse (denn alles kommt ja 
„von Gott"), da& man der Obrigkeit zu gehorchen und zu 
dulden habe („im Jenseits wird alles hundertfach ver- 
golten werden"). Ist danach verwunderlich, dass die 
beim kapitalistischen Regime herrschenden Klasscn die 
Religion fiir ein sehr gutes Werkzeug der Volksverdum- 
mung halten? 

Am Anfang dieses Buchleins haben wir gesagt, da{$ 
die Bourgeoisie sich nicht allein durch die Bajoneite halt, 
sondern audi dadurch, daB sie den Yersiand ihrer 
Sklaven umgarnt. Wir haben auch gesehen, dafe die 
Bourgeoisie das Bewussisein ihrer Untertanen sysiema- 
tisch, organisiert, planmagig vergiftet. Diesem 
Ziel dient eine besondere Institution; das ist die Kirche, 
die s t a a 1 1 i ch e Institution der Kirche. In fast alien 
kapitalistischen Landern ist die Kirche genau so eine 
Staatsinstitution, wie die Polizei, und der Geistliche ist 
genau so ein Staatsbeamter wie der Henker, der Polizisi 
102 



J 



odcr der Spifeel. Er bekommt vomStaate Gchall 
fur die Vergifiung, die er unier den Volksmassen ver- 
breitei. Und das cben ist das gefahrlichste an der ganzen 
Geschichie. Ohne die ungeheuerliche, str affe und mach- 
tige Organisation in Form des Raubstaaies der Bour- 
geoisie, kbnnlen die Pfaffen allein nicht standhalien. Sic 
waren bald bankroll Aber der Siaat der Bourgeoisie 
uniersi'ubi mil alien Milfeln sein Kirchenressort, das nun 
seinerseils eifrigst die Machi der Bourgeoisie uniersiiikf. 
Zur Zeit des Zaren beirogen die Popen nicht nur die 
Volksmassen, sondern sie nuhten sogar das Beicht- 
geheimnis aus, urn die verborgenen Gedanken gegen die 
Regierung auszukundschaften, sie s p i o n i e r t e n im 
Beichtstuhl. Und die Regierung hieli sie nicht nur aus, 
sondern sie bestrafte alle „Lasterer der rechiglaubigen 
Kirche" mit Gefangnis, Verbannung und alien moglichen 
Miiteln. 

Aus alledem ergibi sich das Programm der Kommu- 
nisten in bezug auf die Kirche. Die Religion mu& 
bekamp ft werden, aber nicht mitGewali, 
sondern durchlleberzeugung. Die Kirche 
aber mug vom Staate getrennt werden. 
Das heifjt — mogen die Pfaffen da bleiben, doch sollen 
sie von denjenigen ausgehalten werden, die ihr Gift ein- 
nehmen wollen, oder die an ihrer Existenz interessiert 
sind. Es gibt eine Art Gift — Opium. Wenn man Opium 
raucht, sich man herrliche Traume: man kommt sich wie 
im Paradies vor. Dafiir aber auBert sich seine Wirkung 
in einer Zersforung der Gesundheit: der Mensch wird all- 
mahlich zum stillen Idioien. Dasselbe ist auch bei der Re- 
ligion der Fall. Es gibt Menschen, die Opium rauchen 
wollen. Es ware aber sinnlos, wenn man auf Staata- 
kosten, das heifj;t auf Kosten des gesamten Volkes, 
Opiumhohlen unterhalten und speziell Menschen zu ihrer 
Bedienung anstellen wollte. Mit der Kirche mu{$ man 

103 



also folgendermaken verfahren (das ist ja audi be- 
reits geschehen): Die Popen, Bischofe, Mefropo- 
lite, Pafriarchen, Klostervafer und, wie die anderen 
Briider sonst nocli heifjen, miissen jeder Sfaatsunier- 
siiikung verlustig werden; wenn die frommen Kirchen- 
ganger daran Spak haben, mogen sie sie nun auf eigene 
Kosien mit Fischpasieien und Lachs, den Lieblings- 
speisen der hochwiirdigen Paires fiiitern. 

Zugleich aber muk die Glaubensfreiheii gesichert 
werden. Daraus ergibi sich auch noch die Regel: die 
Religion ist Privatsache. Das bedeutef aber nichi etwa, 
dak wir nicht durch Aufklarung die Religion bekampfen 
diirfen. Das bedeutei lediglich, da& der Staat keine 
religiose Institution unterslii&en soil. 

Das Programm der Bolschewiki-Kommunisten ist in 
diesem Punkte momentan in Rutland verwirklicht. 
Die Popen aller Schattierungen sind ihrer Staatsgehalter 
verlustig. Deshalb sind sie auch so rasend geworden und 
haben die jekige Regierung, d. h. die Regierung der Ar- 
beiter, zweimal verdammt und samtliche Kommunisten 
in den Kirchenbann versekt. Man merke nur. Unter dem 
Zaren befolgten sie streng den Text der Schrift: „Es 
gibt keine Machl denn von Goti" und: „Jedermann sei 
untertan der Obrigkeit". Sie besprengten auch die 
Henker gerne mit Weihwasser. Warum aber vergaften 
sie den Text, als die Arbeiter zur Macht gelanyten? 
Oder sind in die Macht Goites die Kommunisten nicht 
inbegriffen? Wie stehi es damit? Sehr einfach. Die 
Sowjeiregierung ist die e.rste russische Regierung, 
die die Popen auf die T a s ch e n geklopft hat. Und 
das ist die empfindlichste Sfelle des Popen. Nun sind 
die Popen im Lager der „unterdriickten Bourgeoisie": 
sie arbeiten, sowohl illegal, wie „legal", gegen die Ar- 
beiterklasse. Doch haben sich die Zeiten vollig ge- 
andert, und die breiten Massen des werktatigen Volkes 
104 



lassen sich nicht mehr so leicht hinterfiihren wie friiher. 
Darin besteht die grofte aufklarende Bedeutung der 
Revolution. Sie befreit von der okonomischen 
Sklaverei. Sie befreit auch von der g e i s t i g e n 
Sklaverei. 

Es gibt noch einen wichtigen Punkt, der die geistige 
Aufklarung betrifft. Das ist die Frage der S ch u 1 e. 

Bei der Herrschaft der Bourgeoisie diente die 
Schule zur Erziehung der Massen im Geiste des Ge- 
horsams der Bourgeoisie gegeniiber eher ah 
zur wirklichen Bildung. Al!e Lehrbucher, alle Hilfsmiliel 
waren vom Geiste der Sklaverei durchdrungen. Beson- 
ders die Lehrbucher der Geschichte: Da tat man nichts 
anderes als liigen, indem man in einem fort die Helden- 
taten der. Kaiser und anderer gekronten Halunken be- 
schrieb. Eine grofje Rolle spielten in den Schulen die 
Pfaffen. Alles ging auf das eine hinaus: das Kind so zu 
bearbeiten, dafj aus ihm ein gefiigiger — nicht Burger, 
sondern — Untertan wurde, der gelegentlich audi 
Menschen seinesgleichen umbringen wiirde, falls sie 
gegen die Macht des Kapitals sich auflehnen sollten. 
Die Schulen selbst waren in zwei Kategorien eingeteilt: 
die eine war fur die feinen Leute, die andere — fur 
den gemeinen Pobel. Fur die feinen Leute waren die 
Gymnasien und die Universitaien da. Hier studierten 
die Bourgeoissbhnchen allerhand Wissenschafien, die 
darauf hinausgingen, den gemeinen Pobel sich zu unter- 
werfen und zu regieren. Fur das gemeine Volk waren 
die Volksschulen Iibrig. Hier marhlen sich die Pfaffen 
besonders breit. Die Aufgabe dieser Sdiule, die wenig 
Kennfnisse vermittelte, dafiir aber viel Pfaffenliigen ein- 
pfropfte, besfand darin, Menschen zu erziehen, die dul- 
den, gehorchen und sich anstandslos den feinen Leuten 
fiigen. Der Zutritt zur Miftelschule und umso mehr noch 
zur Hochschule (das heiftt zu den Universitaien, hoheren 

105 



technischen Fachschulen und ahnlichen Anstallen) war 
dem einfachen Volke versperri. Auf diese Weise wurdc 
ein Bildungsmonopol geschaf fen. Leidlich etwas 
lemen konnien nur der Reiche oder der von den Reichen 
Untei stufete. Die Gebildeten nuklen deshalb ihre 
Lage geschickt aus. Und so wird begreiflich, warum sie 
wahrend der Okloberrevolution gegen die Arbeiter 
waren: sie ahnten wohl, dei ihre privilegierle Lage auf- 
horen mii&te, sobald a 1 1 e imstande sein wiirden zu 
studieren, und dem „gemeinen Pobel" die Moglichkeit 
geboten sein wiirde, Kenninisse zu erwerben. 

Aus diesen Griinden muB vor allem die Bildung 
allgemeinzuganglich und obligaiorisch 
gemacht werden. Zum Aufbau des Lebens auf neuen 
Grundlagen ist es nofig, da& der Mensch von Kinder- 
schuhcn an an niihliche Arbeit gewbhnt werde. So 
miissen die Schiiler in den Schulen auf allerlei Produk- 
iionsgebieten Kenninisse sammeln. Die Tiiren der Hoch- 
sdiulen miissen fur Jedermann geoffnet sein. Die Pfaf- 
fen miissen aus den Schulen verbannt werden; — wenn 
es sein mujj, mogen sie bei sich zu Hause den Kindern 
die Kopfe verdrehen, aber nichi in Slaalsinslitulionen; 
die Schule mufj eine Laienschule sein, keinePfaffen- 
schule. Die lokalen Organe der Arbeilerregierung iiben 
iiber die Schule Konlrolle aus; nichls darf fur die Sache 
der Volksbildung gesparl werden, damit die Kinder, 
liinglinge und Madchen zum erfolgreichen Lernen mit 
allem Nofwendigen versehen werden. 

Gegenwartig wird in manchen Dorfem und Provinz- 
sfadten von Seilen verdummler Lehrer und mit Hilfe der 
Dorfwucherer (oder richtiger, von Seilen der Dorf- 
wucherer mit Hilfe dieser DuiTimkopfe) eine Propaganda 
belrieben, in dem Sinne, daB die Bolschewiki angeblich 
alle Wissenschaft ausrollen, jede Bildung vernicliien 
wollen usw. Das ist natiirlich eine freche Liige. Die 
106 



Kommunisten-Bolschewiki wollen etwas anderes: sie 
wollen die Wissenschaf t vom Jodie des Kapifals befreien. 
sie wollen die gesamte Wissenschaft dem werktafigen 
Volke zuganglich machen, sie wollen das B i I d u n g s - 
m o n o p o 1 (das ausschliefjliche Recht] der Reichen 
aufheben. Eben darum handelt es sich. Und es isi 
ganz begreiflich, dalj die Reichen eine ihrer Stiifeen zu 
verlieren fiirchten. Wenn jeder Arbeiter Ingenieurkennt- 
nisse besiben wird, dann wird die Sache des Kapitalisten 
und des reichen Ingenieurs — faul: womit sollfe er sich 
nun briislen, wenn es viele seinesgleichen gabe! Keinc 
Durchguerung der Arbeiterinteressen, keine Sabotage 
ware dann mehr moglich. Und davor fiirchten sich die 
werten tierren Bourgeois. 

Kultur — fiii die Reichen, geistige Unterjochung — 
fur die Armen — das war die Parole des Kapitals. 
Kultur — fur Alle, geistige Befreiung vom Joch des Kapi- 
lals — das ist die Parole der Arbeiterklasse, der Kom- 
munisiischen Partei! 

XVUI. Das Volk unter Waffen bewachf seine 

Eroberungen. 

(Die Armee in der SowjetrepublikJ 

Die beste Garantie der Freiheit ist ein Gewehr in den 

Handen des Arbeiters, sagt einer der Schopfer des 

wissenschafllichen Kommunismus, Friedrich Engels. Jekf 

erst sieht man in Wirklichkeit, wie recht er rr.it diesem 

Ausspruche hatfe. Er wird durch die Erfahrung der 

grogen Revolution von 1917 vollends bestatigt. 

Erst vor kurzem noch sfellfen selbst manche radikale 
Oenossen die Parole der Entwaffnung auf. Sie 
meinten: Ueberall baut die Bourgeoisie ungeheuerliche 
Flotten an Unfersee-, Uebersee-, und Luftschifferrj die 
wahnsinnig grojjen Armeen wachsen bestandig; es 
werden noch nie dagewesene Festungen errichtet, Ka- 

107 



nonen und Vernichtungsmstrumente, wie Panzeraufo- 
mobile und Tanks konsiruiert. Dieses ganze furchibare 
GewaltsYstem mufj vernichiet werden. Es mug die all- 
gemeine Entwaffnung gefordert werden. 

Anders slellien wir, Bolschewiki, die Frage. Wir 
sagten: Unsere Parole ist — Entwaffnung der 
Bourgeoisie, Bewaffnung, allgemeine und 
bedingungslose Bewaffnung — der Arbeiter- 
klasse. In der Tat, ware es nicht lacherlich, die Bour- 
geoisie iiberreden zu wollen, ihren scharfsten Wolfszahn 
zu brechen, die bewaffnete Macht (die sich ja aus betor- 
ten Arbeitern und armen Bauern zusammensebt), die sich 
in ihren Handen befindet, niederzulegen! Dieser tddliche 
Gewaltmechanismus kann wiederum nur durch G e w a 1 1 
zersiort.werden. Die Waffen werden nur dnnn gestreckt, 
wenn es durch andere Waffen erzwungen wird. Darin 
besteht der Sinn des bewaffneten Aufstan- 
d e s gegen die Bourgeoisie. Fur die ist ihre Armee ein 
Werkzeug im Kampfe um die Teilung der Welt einerseits 
und ein Miitel zur Bekampfung der Arbeiterklasse an- 
dererseifs. Der Zar und Kerenski traumten, mit Hilfe 
der Armee Konsfanfinopel,, die Dardanelles Galizien 
und viele andere verlockende Lander zu erobern. Zu 
gleicher Zeit aber knebelte sowohl der Zar wie Kerenski 
(also audi die Guisbesiifeer und die Bourgeoisie) die 
Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft. Die Armee 
war ein Instrument in den Handen der Grofceigentiimer 
zur Aufteilung der Welt und <ler Versklavung der Armen. 
Das war eben die aire Armee. 

Wie kam es, daij die Bourgeoisie aus den Arbeitern 
und Bauern Cder gro&te Teil der *Soldafen einer Armee 
besteht ja aus ihnen) ein Werkzeug gegen die Arbeifer 
und Bauern selbsi machen konnte? Wie vermochfe es 
der Zar und Kerenski zu machen? Wodurch versfehen 
es bis jefet die Wilhelms und die Hindenburgs und die 
108 



deutsche Bourgeoisie, ihre Arbeiter zu Henkern der rus- 
sischen, der finnischen, der ukrainisdien und der d e u t - 
s ch e n Revolution zu verwandeln? Warum wurden 
durch die deuisdien Matrosen andere deutsche Matrosen 
erschossen, dis sich gegen ihre Unlerdrucker auflehnten? 
Wie ist es moglich, daft die englische Bourgeoisie mil 
Hilfe der englischen Soldaien (die ja ebenfahs aus dem 
Arbeitersiande sind) die Revolution in Irland unterdriicki, 
in einem Lande, das von den engiischen Bankiers unter- 
dru'ckt und mit riijjen getreten wird? 

Auf diese Fragen kann man dieselbe Antwort geben 
wie auf die Frage, wodurch die Herren Bourgeois die 
Macht uberhaupt beizubehalfen vermogen. Wir sahen, 
daft das erreicht wird dank der ausgezeichneten Or- 
ganisiertheii der blirgerlidien Klassen. In der 
Armee beruht die Macht der Bourgeoisie auf zv/eiOrund- 
lagen: erstens auf dem Offizierskorps, das sich 
aus dem Adel und den wohlhabenden Biirgerlichen re- 
krutiert; zweifens auf dem Drill und der Geisfestotung, 
das heifji der biirgerlichen Bearbeifung der 
Seelen der Soldaten. Das Offizierskorps hat 
im groften und ganzen einen reinen Klassencharakter. 
F.s ist gilanzend dressiert, versteht ausgereichnet das 
Kriegshandwerk und das Geschaft der Soldatenmi5hand- 
lung und der Anschnaufeerei. Man schaue sich so eineh 
famosen Gardeoffizier an, oder einen preufjischen Fant 
mit der Physiognomic eines rauflustigen Mopses. Man 
sieht gleich, dak er wie ein geiibter Zirkusdresseur nach 
rechts und links nicht miide wird, urn sich zu fuchteln, und 
daft er es gelernt hat (und er hat lange, viel und beharr- 
lich gelernt), wie die Mensdienherde in die Kandare zu 
halten ist. 

Natiirlich, wenn diese Herren sich aus Bourgeois und 
Edelleuten rekrutieren, aus den Sohnchen der Guts- 

109 









hesiker und der Kapitalislen, so leiten sie die Armee in 
ganz bestimmlem Sinne. 

Und nun sehe man sich die Soldaten an. Sie kommen 
als graiie Masse, als Mcnsdien, die miieinander nicht 
verbunden, zerslaubf sind, nichis abwehren konnen; mil 
einer Seele, die zum Teil schon durch die Schule ange- 
fressen ist. Sie werden sofori in Kasernen gesiopff, und 
der Drill beginnt. Einschiichierung, Einlrichierung der 
volksschadlichsien Ideen, ein besiandiges System von 
Furcht und Sirafen, Demoralisierung durch Belohnung 
von Verbrechen (zum Beispiel fiir die Erschieftung von 
Srreikenden), — all das machi aus dem Menschen einen 
Halbidioien, eine Puppe, die ihrem Todfeind blind ge- 
hordhi. 

Natiirlidi muftie mil der Revolution die Armee, die 
mit beiden Fiiften auf dem alien zarisiischen Boden stand, 
die Armee, die audi Kerenski noch Konsianiinopel zu- 
liebe ins Feuer irieb, — diese Armee muftfe sich zer- 
seken. Warum? Weil die Soldaten einsahen, dak sie or- 
ganisiert, gedrillt und in die Sehlacht geirieben werden 
im Namen der verbrecherischen Profitsucht der 
Bourgeoisie. Sie sahen ein, da& sie fast drei Jahre 
dem Geldsack zuliebe in den Schiihengraben lagen, um- 
kamen, krepierten, hungerten, einander umbrachten. So 
isi es nur natiirlidi, daft, als die alte Diszipiin durch die 
Revolution vernichtei wurde, und eine neue zum Eni- 
siehen nodi keine Zeit hatte — eine Zersehung 
der alien Armee sich vollzogi ihr Zerfall, ihr Untergang 
kam. 

Diese Krankheil war unvermeidlich. Die Diimmlinge 
der Menschewiki und der Sozialrevolutionare beschul- 
digen die Bolschewiki: — Aha, was habt ihr angerichtet 
— ihr habt die zaristische Armee zersefet! — Aber die 
r lenschewisiischen und sozialrevolutionarenTropfe'sehen 
ridit ein, daft die Revolution nicht hatte siegen konnen, 
1!0 



wenn im Februar die Annec dcm Zaren und den Genc- 
ralen, und dann im Oktober der Bourgeoisie treu ge- 
blieben ware. Der Aufsiand der Soldaien gegen den 
Zaren war ja schon die Zersehung der zaristisdien 
Armee. Jede Revolution zerbrichi das Alie und das 
Morsche. Zuersi vergehi eine gewisse Zeif (die sehr 
sdiwer isi), bis das Neue entsieht, bis auf den Ruinen des 
alien Schweinestalls ein schones Haus zu bauen be- 
gonnen wird. 

Wir wollen gleich ein Beispielchen aus einem andern 
Oebiei anflihren. Die alien russischen Arbeiler erinnem 
sich noch, daft in fruheren Zerfen, wenn ein Bauer sich in 
einen Fabrikarbeiter verwandelle und er in die Stadt 
kam, er zu allererst ein entseklicher Radaubruder und 
Bandit, ein „besikloser Lump", „ein Fabrikprolet" hiejj. 
Das Wort JFabrikarbeiter" selbsi war beinah ein 
Schimpfwort. Und in der Tat, diese Arbeiter verstanden 
es zu saufen und zu raufen, Iiebien Schweinereien und 
Bummeleien. Infolgedessen predigten audi alle reak- 
iionaren Elemente eine Riidd<ehr zurn System der 
Leibeigenschaft. 

Sie sagten: da die Siadt die Leute demorafisiert, da 
die Leute in der Stadt „verdorben" werden, so braucM 
man das Dorf und vor allem den vaterlichen Stock des 
Gutsbesikers. Nur so wurde die Tugend auf ihre Kosten 
kommen! Dieselben Elemente hohnfen boshaft, daft die 
Arbeiterklasse „das Salz" der Erde ware. Sie sprachen 
zu uns, den Marxisten, den Schulern des grogen Kom- 
munisten Karl Marx: „Das sind nun eure Arbeiter! Das 
sind ja Schweinehunde, keine Menschen. Abhub! Und 
ihr meint, das sei das Salz der Erde! Sie brauchen eine 
Knute, eine Siallpeilsche, aber keine Freiheit!" 

Viele lieBen sich von all dem „iiberzeugen". In Wirk- 
lichkeii war aber die Sache die. Wenn die Bauersleute 
vom Lande in die Stadt kamen und mii dem Dorfe 

in 



brachen, da ging die alte Dorfsifie zugrunde. Auf dem 
Lande lebt man nach alter Siite: schau dem Alien aufs 
Maul und gehorch ihm, auch wenn er halb verblddet 1st; 
siJse bei deiner Jauchegrube und slecke deine Nase in 
nichis, was aufcerhalb deines Diingerhaufens liegt. Vor 
allem, hiile dich vor allem neuem. Das isl die Dorffreiheit. 
— Das war zwar eine schlechleWeisheil, aber sie war der 
Zaum, der die „Ordnung" auf dem Lande aufrech erhielt. 
Diese Weisheii mufile in den Siadten bald verschwinden: 
da war alles neu: neue Menschen, neue Beziehungen, 
eine Unmenge neuer, ungekannier Versuchungen. Die 
alle Dorfmoral verschwand naiiirlich. Und damit eine 
neue geschaffen werde, mukie ersi eine gewisse Zeit 
vergehen. Diese Zwischenzeit ist eben die Periode des 
Zerfalls. 

Aber lefeien Endes enlsland auf der neuen Grundlage 
eine neue Weisheii: die Solidariiai des Pro- 
1 e i a r i a i s. Die Fabrik schweifjie die Arbeiler zusam- 
men, das Joch des Kapitals lehrie sie den gemeinschafi- 
lichen Kampf; an Sielle der veralteien, hausbackenen, 
unbrauchbaren Weisheii entsiand eine neue, proleta- 
rische, unendlidi hbher siehende. Diese macht das Pro- 
letariat zur Elite, zur forischritilichsien, revoluiionarsien, 
produktivsien Klasse. W i r behielien also Rechi und 
nichi die Anhanger der Leibeigenschafi, die Guisbesifeer. 

In bezug auf die Armee nehmen jefei die Mensche- 
wiki und die Sozialrevoluiionare die Siellung der Leib- 
eigenschafisverfechier ein. Sie ergehen sich in Klagen 
iiber die Zersefeung der Armee und beschuldigen daran 
die Bolschewiki. Und ahnlich wie die Anbeier der Leib- 
eigenschafi „zuriick" riefen, aufs Land, zu den Fleisch- 
ibpfen des Guisbesifeers, unter die Knuie — so rufen die 
Menschewiki und die Sozialrevoluiionare zur alien Dis- 
ziplin zuriick, zum Diensi der KonsfituierendenVersamm- 
lung, auf Grund einer Ruckkehr zum Kapiialismus und 
112 



den iibrigen Herrlichkeiien. Aber wir Kommunisten 
schauen vorwaris. Wir wissen wohl: das Alie war morsch 
und mufcie unvermeidlidi abfaulen, sonsi haiien die Ar- 
beiter und die armen Bauern nidii die Regierungsgewalt 
ergreifen konnen; das Neue, libhere kommt, an Stelle 
der alien Armee enisiehi die Rote Armee des 
Sozialismus. 

So lange die Machi der Bourgeoisie gehori, das 
„Vaierland" das Vaierland der Bankiers, Handler, der 
Spekulanten, Gendarmen, Kdnige und Prasidenlen isl — 
solange isi die Arbeiierklasse in keiner Weise an der 
Verteidigung dieser schmukigen Profiimaschinerie inter- 
essiert. Ihre proleiarische Pflicht ist, sich gegen sie auf- 
zulehnen. Nur armselige Sklavenseelen und Diener des 
Geldsackes konnen davon sprechen, dak man wahrend 
des Krieges nichi gegen den rauberischen imperialisti- 
schen Staat streiken und sich nichi auflehnen diirfe. Frei- 
lich schadet das der Sache des rauberischen Krieges. 
Gewik beschleunigen Unruhen innerhalb des Landes und 
besonders Unruhen innerhalb der Armee ihre Desorgani- 
sation. Wie aber sollie man die Herrschaft eines Wilhelm 
bredien, ohne die wilhelminische Disziplin zu zersefeen? 
Das ist unmoglich. Die deuischen Mariyrer, jene. Ma- 
irosen, die von den Henkern Wilhelms hingericniei wur- 
den, forderten naiiirlich die Zersefeung der zu Raub- 
zwecken straff organisierten Armee. Wenn aber eine 
rauberische Armee innerlich stark isi, so bedeuiet sie den 
Tod der Revolution. Ist die Revolution stark, so bedeuiet 
sie das Ende der rauberischen Armee. Die Herren Schei- 
demanner, die deuischen Sozialverraier, heken gegen 
Liebknecht, als einen Zersefeer der Armee. Sie hehen 
gegen alle deuischen Revoluiionare, die deuischen Bol- 
schewiki, weil die angeblich der siegreichen Armee „in 
den Riicken fallen". Mdgen sich die Herren Menschewiki 
nut den Scheidemannern und dem andern iibel riechen- 

113 



den Geschmeifs verbriidern — sie sind desselben Geistes 
Kinder! 

Fur Rutland ist diese Zeit bereits vorbei. Die Ar- 
beilerrevolution hai gesiegi. Die Periode der Zersefeung 
cjehort der Vergangenheit an. Vor uns liegt die Zeit des 
aeuen Aufbaus. Eine role Armee wird gegriindei, n i ch t 
z u m R a u b , sondern zum Schub des Sozialismus; 
nicht zur Verteidigung des Profii-Vaierlandes. wo alles 
in den Handen des Kapiials und des Guisbesifcers lag, 
sondern zur Verteidigung des sozialistischen 
Vaterlandes, wo alles in die Hande der Arbeitenden 
iibergehi; nicht zur Aufteilung fremder Lander, sondern 
zur Siiike der internationalen kommunisti- 
sdien Revolution. 

Diese Armee mu| naiiirlich auf anderer Grundlage 
aufgebaut werden, als die alie. Die Rote Armee mu|, 
sagten wir, ein Volk unter Waffen bei entwaffneter 
Bourgeoisie sein. Sie muB eine Klassenarmee d e r 
Proleiarier und der armenBauern sein. 
Sie ist ja im Grunde genommen gegen die international^ 
also auch die einheimische Bourgeoisie gerichiet Des- 
halb darf sie keine bewaffneien Elemente der Bourgeoi- 
sie enthalten. Die Bourgeoisie in die Armee aufnehmen, 
wiirde bedeuten, sie bewaffnen, das hei&i, innerhalb der 
roten Armee eine wei&e Armee schaffen, die mit Leich- 
tigkeii alies zersioren, zum Miitelpunkt von Verrafereien 
und Aufsianden und eines Ueberlaufens auf die Seite der 
feindlichen imperialisiischen Armeen usw. werden konnie. 
NJicht die Bourgeoisie bewaffnen, sondern sie enhvaffnen, 
lhx den lebten Browning aus der Hand reifjen - darin 
besteht unsere Aufgabe. 

Die zweiie, nicht weniger wichtige Aufgabe ist 
dieSchaffung eines proletarischen Offi- 
zierskorps. Die Arbeiterklasse mufi sich gegen 
feinde wehren, die von alien Seiten gegen sie stiirmen 



Von den imperialisiischen Raubvogeln wird ihr der Krieg 
aufgedrangi. Aber zu einem modernen Krieg bedarf es 
tiichtiger Fachleuie. Der Zar und Kerenski verfiigten 
iiber derartige Spezialisien. Solche fehlen aber der Ar~ 
beiierklasse und der armen Dorfbevolkerung. Zu 
d i e s e m Zweck muk man zunachsi die alien Fachleuie 
verwerien: nun mdgen sie die Proletarier unierrichieni 
Dann wird das sozialisiische, von den Sowjeis regierie 
Vaierland seine eigenen Offiziere.^ sein Offiziers- 
k o r p s haben. . Und ahnlich wie in der Revoluiion die 
erfahrenere und iaikraffigere Arbeiierklasse die armen 
Bauern hinier sich fuhrt, so werden im Kriege gegen die 
imperialisiischen Machihaber die Arbeiier-Offiziere die 
Masse der roien Bauernarmee anfiihren. 

Die roie Armee mujj enisiehen auf Grund des all- 
gemeinen Waffendiensies der Arbeiier 
und der armen Bauern. 

Dieser Waffendiensi isi eine der dringendsien und 
wichiigsien Angelegenheiien. Da darf keine Minuie, 
keine Sekunde Zeii verloren werden. 

J e d e r Arbeiier und j e d e r Bauer miHj einexerziert 
sein und isi verpflichiei, mii derWaffe umgehen zu lernen. 
Nur dumme Menschen konnen so rasonnieren: Wir haben 
ja noch Zeii, bis es so weii isi, wir werden damii immer 
feriig werden! Die russischen Faulpelze rasonnieren ofi 
so. Die ganze Weli wei&, dak die Lieblingsredensari des 
russischen Volkes das „vielleichi" isi. „Vielleichi haben 
wir noch Zeii." Aber schon isi der Klassenfeind auf den 
Ruf der ehemaligen Guisbesiber und der Kapiiaiisien da 
und packi dich am Sdilafiiichen. Vielleichi, wenn einen 
erst ein wackerer preu^ischer Coder ein englischer — 
wer wei{j?) Unieroffizier an die Wand siellen wird, urn 
ihn niederzuknallen, vielleichi wird dann erst unser gui- 
miiiiger Landsmann den Kopf krauen und sich sagen: 
„Schon dumm bin ich friiher gewesen!" . . . 

M5 



Man mufj sich beeilen. Und es schiebe keiner den 
anderen vor. Audi warie man nichi mehr ab und ge'ic 
wacker ans Werk. Allgemeine Waffenpflichi 
— das ist das dringendste, das wichiigsie Geboi der 
Siunde. 

Die alie Armee war auf der Verdummung der 
Soldaten begriindet. Das kam daher, weil dort die Ka- 
piialisien und die Guisbesiber Millionen von Soldaien, 
Arbeitern und Bauern, lenken durften, deren Interessen 
denen der Kapiialisien widersprachen. Das kapitalisti- 
sche Regime muBte daher zuerst aus dem Soldaien ein 
hirnioses Wesen machen, das gegen seine eigenen Inter- 
essen handelie. Im Gegenteil, die role Armee der Ar- 
beiter und Bauern veriritt ihre eigene Sache. Sie kann 
also nur auf der Aufklarung und der Z i e 1 - 
bewu&theii der Genossen aufgebaut werden, die in 
diese ihre Reihen einireien. Daraus ergibt sich die Noi- 
vvendigkeii von Fachkursen, Biblioiheken, Voriragca, 
Meetings und Versammlungen. In der ireien Zeit nehmen 
die Soldaien der roien Armee zugleich mii den anderen 
Arbeitern am poliiischen Leben tei!, besuchen Ver- 
sammlungen, leben dasLeben derArbeiter- 
k la sse. 

Diese Bedingung ist eine der wichtigsien Bedingun- 
Qen, damit eine teste revolutionise Disziplin 
entsiehen kann, nicht die Siocl<disziplin, sondern eine 
auf dem revolutionaren Klassenbewufitsein begriindeie 
Disziplin. Wenn der Zusammenhang zwischen der Armee 
und der Arbeiterklasse verloren geht, so enfarfet die 
Armee schnell und kann sich leichi in eine Bande ver- 
wandeln, die demjenigen dient, der mehr zahlt. Dann 
geht sie ihrem Zerfall entgegen, und nichts kann sie vor 
diesem Zerfall bewahren. Im Gegenteil. Befindct sich 
die rote Armee in lebendigem Zusammenhang mii den 
Arbeitern und lebt das Leben der Arbeiler, so wird sie 
116 



das sein, was sie sein soil: ein bewaffneles Organ der 
revoluiionaren Massen. 

Als eines der besten Miiiel zur Bewahrung des Zu- 
sammenhanges mit den Massen erscheini auger den er- 
wahnien (Vorlesungen, poliiische Versammlungen usw.) 
die Verwendung der Soldaien der roien Armee zum be- 
slandigen Unierrichten der Arbeiier im Gebrauche der 
Schu&waffen, Maschinengewehre usw. Ansiaii, da& die 
Soldaten sinnlos herumlungern, Karien spielen, in den 
Kasernen herumsiken — haben sie eine produklive Arbeit 
vor sich, die Alle zu einer einzigen einirachiigen revo- 
luiionaren Familie zusammenschmiedet. So enlstehl ein 
Volk unier Waff en, das bewaffnele Proletariat 
und die bewaffnele arme Bauernschafi, und sie werden 
auf der Hut der gro£en Arbeiterevoluiion sein. 

XIX. Die Befreiung der Vdlker. 
(Naiionale Frageund iniernati onale 
P o 1 i t i k.) 
Das Programm der kommunistischen Pariei ist das 
Programm der Befreiung nichi allein des Proletariates 
eines einzigen Landes, — es ist das Befreiungsprogramm 
des gesamien iniernationalen Proletariats, denn es ist 
das Programm der iniernationalen Revo- 
lution. Zugleich aber ist es audi das Programm der 
Befreiung aller kleinen unierdrucklen Lander und Volker. 
Die rauberischen „Gro&machle" (England, Deutschland, 
Japan, Amerika) haiten sich eine unabsehbare Menge 
von Landern und Vdlkern zusammengeraubt. Sie haften 
den ganzen Erdball uniereinander verteilt. Und so 
kommt es, dass in diesen geraubten Landern die Ar- 
beiterklasse und alle werklatigen Massen unier d o p - 
p e 1 1 e m Joch zu stohnen haben: dem Joch seiiens der 
einheimischen Bourgeoisie und dem ver me h rt en 
Joch seiiens der Eroberer. Das zarisiische Rutland haiie 

117 






ebenfalls eine Unmenge von Landern und Volkern zu~ 
sammengei af ft, — so ist die Grdfje „unseres" Kaiser- 
reichs zu erklaren. Begreiflicherweise enistand unter 
vielen „Fremdvolkern" und sogar unter einem gewissen 
Teil des nichi-gro&russischen Proletariats ein M i 6 - 
irauen gegen die „Moskowiier" iiberhaupt. Die 
nationale Unierdriickung rief das nationale Gefiihl wach 
bei den unterdriicktcn Teilen des Proletariats — • ein Ge- 
fiihl des Argwohns gegeniiber der unterdriickenden 
Nation als ganze, ohne Unterschied der Klassen; bei 
dem Proletariat der Unterdriickemaiion — ein unge- 
niigendes Verstandnis fiir die Lage der d o p p e 1 1 
unterdruckten Teile des „fremdlandischen" Proletariats. 
Doch ein Sieg der Arbeiterrevolution an der ganzen 
Front erf ordert ein voliiges gegenseitiges 
Vertrauen der einzelnen Teile des Pro- 
letariats zueinander. Es mu& durch die Tat ge- 
zeigi und bewiesen werden, dafj in dem Proletariat der- 
jenigen Nation, die die anderen unlerdriickt, das Pro- 
letariat der anderen Nationen einen bedingungslosen 
Veibundelen hat. Bei uns in Ru&land waren die herr- 
schende Nation, das herrschende Volk, die Grofirussen, 
welch e die Finnen und Tataren, Ukrainer und Armenier, 
Oeorgier und Polen, Tschuwaschen und Mordwiner, Kir- 
gisen und Baschkiren, und Dufeende anderer Nationa- 
iitaten unierwarf. Naiiirlich haben sogar gewisse prole- 
iarische Elemenie dieser Nationalitaten eine ganz falsche 
Vorstellung von jedem Russen iiberhaupt. Sie haben 
an sich erfahren, wie das zarisfische Gesindel sie milj- 
handelt und beschimpft hatte, und sie dachten, so waren 
a 1 1 e Russen, auch die russischen Proletarier. 

Damit unter den verschiedenen Teilen des Proleta- 
riats briiderliches Vertrauen bestehe, verkiindet das 
Kommunisfische Programm das Recht der werk- 
laiigen Klassen jeder Naiionaliiai auf 
118 



vollstandige Abfrennung. Das hei&t soviel 
wie, da& der russische Arbeiier, sobald er die Macht er- 
langl hat, zu den Arbeiiern der anderen Nationalitaien, 
die in Rutland leben, sagt: „Genossen! Wenn Ihr nicM 
an unserer Sowjetrepublik ieilnehmen wollt, wenn Ihr 
durch Organisation von Sowjets eine eigene Republik 
haben wollt, — so kdnnl Ihr Euch von uns trennen. Dieses 
R e ch t erkennen wir Euch vollkommen zu. Und wif 
wollen Euch keinen Augenblick mit Gewalt zuriickhalten." 

Selbsiversiandlich lagt sich nur durch eine 
s o 1 ch e Taktik das Verirauen des Proletariats als 
Ganzes gewinnen. Stellen wir uns in der Tat vor, was 
nun ware, wenn die grofjrussischen Arbeiterrale mit Ge- 
walt irgendwelche Teile der Arbeiterklasse anderer 
Nationen bei sich behalien wollten und die anderen mit 
bewaffneier Hand sich wehren wurden. Das wiirde 
naiiirlich einen vollkommenen Zerfall der gemeinsamen 
proleiarischen Bewegung, eine vollige Zerrutiung der 
Revoluiion bedeuien. S o darf man nicht handeln, denn, 
wir wiederholen, nur im briiderlichen Bund der 
Proletarier liegt das Siegespfand. 

Eine Nebenbemerkung. Es ist hier nicht vom Selbst- 
besiimmungsrecht der Nation (das hei&t, sowohl der 
Arbeiter wie der Bourgeoisie zusammen) die Rede, 
sondern vom Recht der werktatigenKlassen. 
Das bedeutet, da& der sogenannte Wille der „Nation" tiir 
uns keineswegs heilig ist. Wenn wir uns nach dem Willen 
der Nation erkundigen wollten, hatten wir die konsti- 
iuierende Versamrr.Iung dieser Nation einberufen miissen. 
Fiir uns ist der Wille der proletarischen und 
halbproletarischen Massen heilig. Deshalb 
sprechen wir eben nicht vom Selbstbestimmungsrecht der 
Nationen, sondern vom Absonderungsrecht der a r b e i - 
tenden Klassen einer jeden Nation. Wahrend der 
Diktaiur des Proletariats sind nicht die konsiituierenden 

119 




Versammlungen („vom ganzen Volk", „von der ganzen 
Nation"), sondern die S o w j e t s (die Rate) der A r - 
beiienden ma&gebend. Und wenn in irgendeinem 
Winkel Rufclands zu gleicher Zeit zwei Versammlungen 
einberufen worden waren — die „Konsiiiuanie" der be- 
treffenden Naiion und der Kongrek der Sowjeis, und da- 
bei die „Konsliiuanie" fiir eine Absonderung ware, der 
proletarische Kongrejj aber dagegen, — so wiirden vvir 
dann den Beschlulj des Pr o I eia r i a is gegen den 
Besdiluk der „K o n s t i t u a n t e" unlersiiiken, und zwar 
mit alien Miffeln, — die Waffen einbegriffen. 

So lost die Parlei des Proletariats die Frage der 
Proletarier der verschiedenen Nationen, die innerhalb 
desselben Siaaies leben. Vor der Partei erhebt sich aber 
eine nodi grd&ere Frage nach ihrem internatio- 
nalen Program m. Hierin ist der Weg klar vor- 
gezeidinei. Das ist der Weg der universellen U n i e r - 
stiikung der internationalenRevolution, 
der Weg der Unfersiuisung der revolutionaren Propa- 
ganda, der Streiks und der Aufstande in den imperialisti- 
sdien Landern, und der Weg der Unierstii&ung der Auf- 
stande und der Emporungen in den Kolonien diesei 
Lander. 

In den imperialistischen Landern (und als soldie er- 
scheinen alle Lander, mit Ausnahme von Rukland, wo die 
Arbeiter der Herrschaft des Kapitals das Genick ge- 
brochen haben) bildei eines der widviigsien Hindernisse 
der Revolution die vaterlandsverteidigende Sozialdemo- 
kratie. Diese stellt audi jefet nodi die Parole der Ver- 
teidigung des (rauberischen) Vaterlandes auf und betriigt 
somit die breiien Arbeiiermassen. Sie jammeri uber die 
Zersehung der (rauberischen) Armee. Sie hebt gegen 
unsere Freunde, die deulschen, bsterreichischen und eng 
lischen Bolschewiki, die allein mit Verachtung und Em- 
porung die Landesverteidigung des biirgerlidien Vater- 
120 



landes ableh'nen. Die Sowjeirepublik nimmt eine 
ganz besondere Stellung ein, Sie ist die einzige prole- 
t a r i s ch e Slaatsorganisaiion der Welt inmitten der 
rauberischen Organisaiionen der Bourgeoisie. Deshalb 
darf sie allein das Recht der Verieidigung bean- 
spruchen. Noch mehr, — sie mu& als Werkzeug des 
Kampfes des ganzen Weltproletariats gegen 
die Weltbourgeoisie beirachlei werden. Schon ist die 
Losung, der Ruf dieses Kampfes klar. Die internationale 
Losung dieses Kampfes ist die Losung der Inter- 
nationalen Sowjeirepublik. 

Der Sturz der imperialistischen Regierungen auf 
dem Wege des bewaffneten Aufstandes 
und der Errichtung einer internationalen Raterepublik 
— das ist der Weg zur internationalen Dikta- 
tur der Arbeiterklasse. 

Das siarksie Miilel zur Unlersluhung der internatio- 
nalen Revolution bildet die Organisation der bewaff- 
neten Krafte dieser Revolution. Die Arbeiter aller 
Lander, die nicht durch ihre Sozialrevolutionare und 
Menschewiki (und diese gibt es in jedem Lande) ge- 
blendet sind, sehen in der russischen Revolution und in 
der Sowjetregierung Ruftlands ihre ureigene Sache. 
Warum? Weil sie begreifen, daft die Macht der Sowjets 
die Macht der Arbeiter selbst ist. Ganz anders ware es 
aber, wenn die Bourgeoisie mit Hilfe der Menschewiki 
und der Sozialrevolutionare die Sowjetregierung ge- 
stiirzt, eine konstituierende Versammlung einberufen iw* 
dadurcri die Regierung der Bourgeoisie, in der Art wie 
sie vor der Oktoberrevolution besland, errichfet hatie. 
In diesem Fall hafle die Arbeiterklasse ihr Vaterland 
v e r 1 o r e n, denn sie wdirde ihre Macht verloren haben. 
Dann waren unvermeidiich die Banken in die Hande der 
Bankiers, die Fabriken in die Hande der Fabrikanten 
und das Land zu den Gutsbesifeern iibergegangen. Das 

m 




Vaterland der P r o f i i rn a ch e r e i ware wieder auf- 
ersianden. Dieses Vaterland zu verteidigen — daran 
haiten die Arbeifer absolui kein Inter- 
esse. Andererseits hatlen die wesieuropaischen Ar- 
beifer im Rutland der Sowjels nidit mehr den hellen 
Leuchtturm, der ihnen in ihrem harten Kampfe vor- 
an leuchtet. Die Entwicklung der iniernationalen 
Revolution ware aufgehalien. Dagegen, die Fesligung 
der -Raleregierung, die Organisation der bevvaffneten 
Krafte der Arbeiter und der armen Bauern, die organi- 
sierie A b w e h r der iniernationalen Rauber, die als 
Klassengegner, als Grundbesiker und Kapitalisten, als 
eine Bande von Hen kern der Arbeiterrevo- 
1 u t i o n , Rutland angreifen, die Erridiiung der Roten 
Armee, — das mug audi die revolutionare Bewegung in 
den anderen europaischen Landern fdrdern. 

]e besser wir organisiert sind, je machtiger die be- 
waffneien Scharen der Arbeifer und der Bauern sind, je 
sicherer die Diktatur des Proletariats in Rukland ist, — 
umso eher wird audi die Sache der iniernationalen Re- 
volution gefordert. 

Diese Revolution wird unausbleiblich kommen, so 
sehr audi die deutschen, osterreichischen, franzosischen 
und englisdien Menschewiki ihren Gang aufhalien. Die 
Arbeiiermassen Ruftlands haben mit den Opportunisten 
gebrochen. Mil ihnen werden audi die Arbeiiermassen 
Westeuropas brechen (und brechen audi jefet schon). 
Die Parole: Sturz der biirgerlichen Vaterlander, Sturz 
der rauberischen Regierungen, Diktatur des Proletariats, 
— diese Parole gewinnt immer mehr und mdu Svm- 
pathien. Fruber ode r -V.--W werden wir ait j n i e r - 
nationale Republik der Sowjets haben! 

Die Internationale Raterepublik wird Hunderie 
IvilUionen von Mensdieru in den Kolonien von der 
Unterdriickung befreien. Die „zivilisierten" Gro&machte 
122 



qualten und marterten durdi blutige Verfassung die Be- 
volkerung der Koloniallander. Die europaische Zivili- 
sation wurde vom Bluie der unbarmherzig ausgebeuieten 
und ausgepliinderten Vblkerschaften der femen iiber- 
seeischen Lander getragen. Sie alle werden durch die 
Diktatur des Proletariats befreit, — und nur 
durch sie allein. Ebenso wie die russischeSowjetregierung 
sich fiir iene Ablehnung der Kolonialpolitik erklarte und 
ihren Siandpunkt durch die Tat bekraftigt hat, z. B. in 
bezug auf Persien, — so wird auch die Arbeiterklasse 
Europas, nachdem sie die Herrschaft der Bankiers ge- 
stiirzt haben wird, den unferdriickten und ausgebeuteten 
Klassen die voile Freiheii bringen. Aus diesem Grunde 
ist eben das Programm unserer Partei, das Programm 
der internaiionalen Revolution, zugleich auch das Pro- 
gramm der vollsiandigen Befreiung aller Schwachen und 
Unferdriickten. Die groke Klasse — der Arbeiter — stellt 
sich auch groge Aufgaben. Und sie stellt sich nicht nur 
diese Aufgaben, sondern sie lost sie auch im blutigen, 
qualvollen, heroischen Kampfe. 

Schlu&. 

(War urn nennen wir uns Kommunisle n?) 

Unsere Partei hiefj bis zu ihrem lefefen Kongreg die 
sozialdemokratische Partei. In der ganzen Welt true 
die Partei der Arbeiterklasse diesen Namcn. Aber der 
Krieg rief eine noch nie dagewesene Spalfung in den 
sozialdemokratischen Parfeien hervor. Und da stellten 
sidi die drei Grundstrbmungen innerhalb #icser Par- 
teien heraus: der aukere rechfe FHiad. das Zentrum und 
der aukere linke Fliio«' 

Die reditsstehenden ^ozialdemokraten ent- 
puppten sich als die wahren Verrater der Arbeiterklasse. 
Sie leckten (und lecken bis jeht noch) die mif Arbeiter- 
blut bedeckten Stiefel der Generale. Sie unterstiihten 

123 



die gro&ten Niedertrachtigkeiten und Verbrechen ihrer 
Regierungen. Man braucht sich nur daran zu erinnern, 
daB der deutsche Sozialdemokrat Scheidemann die 
Ukraina-Politik der deutschen Generate uniersiiifet hat. 
Ebenso Renaudel, der Fiihrer der franzosischen, Hen^ 
derson der englischen, Bissolafi der iialienischen So- 
zialdemokratie. Das sincl die direkten Henker der 
Arbeiterrevolutiort. 

Wenn die deutschen Arbeiter gesiegt haben werden, 
werden sie gut tun, Scheidemann am selben Galgen mit 
Wilhelm aufzuhangen. Solche Herren gibt es auch in 
Menge in Frankreich, in England und in den anderen 
Landern. Gerade sie betriigen die Arbeiter durch Phra- 
sen von der Vaterlandsverieidigung (des Vaterlandes 
der Bourgeoisie, Wilhelms II, ersticken die 
Arbeiterrevolution bei sich zu Hause und m o r d e n 
sie in Rutland mit den Bajonetten ihrer Regierungen und 
dadurch, da& sie diese Regierungen unterstiiken. 

Die zweite Richtung 1st das Parteizentrum. 
Die iibt an seiner Regierung Kritik, ist aber zu keinem 
revolutionaren Kampfe fahig. Es kann sich nicht ent- 
schlielen, die Arbeiter auf die Sira&e zu rufen. Es fiirch- 
tet sich vor dem bewaffneten Aufstande, der allein die 
Frage zu Ibsen vermag. Die Fiihrer dieser Richtung in 
Deuischland sind Haase und Kauisky, in Frankreich— 
Longuet, in Italien— Turati, in England— Macdonald. 

Die dritte Stromung ist sdilieftlich die a u fe e r e 
I. i n k e : in Deutschland — I.iebknecht und seine Ge- 
sinnungsgenossen, in Frankreich— Loriot, in Italien— 
Mc Lean. Das sind die westeuropaischen Bolschewiki. 
Ihre Taktik, ihre Ansichten sind die Ansichten der Bol- 
schewiki. 

Nun schaue man an, welch eine Verwirrung entsieht, 
*?enn man alle diese Gruppen mit demselben Namen 
nennt. Der Sozialdemokrat Liebknecht und der Sozial- 
X2£ 



demokrat Scheidemann! Was haben sie gemeinsam? Ein 
Henker der Revolution, ein schmukiger Verrater, — und 
der tapfere Vorkarnpfer der Arbeiferklasse, — kann man 
sich denn noch einen grbkeren Unierschied denken?! 

In Rutland, wo der revoluiionare Kampf und der 
Werdegang der Revolution die Frage des Sozialismus 
und des Sturzes der Macht der Bourgeoisie auf die 
Spike getrieben hatten, wurde der Streit zwischen 
den Verratern am Sozialismus und den Anhangern des 
Sozialismus mit der Waffe in der Hand ausge- 
fochten. Auf der einen Seite der Barrikade waren die 
Rechts-Soziairevolutionare und die Menschewiki mit der 
ganzen gegenrevolufionaren Brut; auf der anderen 
waren die Bolschewiki, gemeinsam mit den Arbeitern 
und den Soldaten. Das B 1 u t hat einen Strich zwischen 
uns gezogen. Und das lafct sieh nicht vergessen und wird 
audi nicht in Vergessenheit geraten. 

Aus diesem Grunde m u s s e n wir unserer Partei 
einen anderen Na^ien beilegen, der uns von den Ver* 
rafern am Soziali; hus unferscheiden soil. Zu grofc ist 
der Abstand zwisdien ihnen und uns. Zu verschieden 
sind unsere Bahnen und Wege. 

In bezug auf den burgerlichen Staat kennen 
wir, Kommunislen, nur eine einzige Pflicht — ihn zu 
sprengen, diesen rauberischen Bund zu zerstdren. Die 
Sozialdemokraten predigen, unter dem Mantelchen der 
Vaferlandsverteidigung, eine Verteidigung dieses Unter- 
nehmer-Verbandes. 

Dafiir aber sind wir, nach dem Sieg der Arbeiter- 
klasse, in bezug auf die Rateregierung fur deren Schuk 
und Truk gegen unsere erbitterten Feinde, die Impera- 
listen der ganzen Welt. Sie aber, die echien Verrater 
an den Interessen der Arbeiter, stellen sich zur Aufgabe, 
die Arbeiterregierung zu stiirzen und die Sowjets zu 
sprengen. Und im Besfreben, diese Aufgabe zu erfiil- 

12S 



len, marschieren sie in gleichem Schritt mil der ganzen 
Bourgeoisie. 

Wir, Kommunisten, streben vorwarts, welche 
Schwierigkeiien das audi kosfen mag, wir schreiten dem 
Kommunismus entgegen, duFch die D i k - 
f a t u r des Proletariats. Aehnlich wie die bos- 
haften Bourgeois hassen jene Pseudosozialisien von 
ganzem Herzen diese Dikiafur, beschimpfen sie auf alien 
Ecken und Enden und stellen die Parole auf: „Z u r u ck 
zum Kapiialismus!" 

Wir, Kommunisten, sagen der Arbeiterklasse: „Euer 
Weg ist dornenreich, aber geht unentwegt vorwarts, 
immer vorwarts. Die groije Revolution, die die alte Welt 
auf den Kopf siellt, kann nicht glatt verlaufen, man kann 
?ie nicht in wei&en Glacehands, „hen machen:_ sie wird 
imler Qualen geboren. Diese Qualen miissen ertragen, 
f rduldet werden, man mufj durch ihr Feuer gehen, damit 
man sich endlich aus der eisernen Umklammerung der 
kapitalistischen Sklaverei befreie." 

Aber die Menschewiki,. die Sozialrevolutionare und 
die Sozialdemokraien schauen von der Seite zu, fangen 
alle unsere Fehler und unsere Miggriffe auf und Ziehen 
darauf den Sch!u&: Zuriick! Geben wir der Bourgeoisie 
alles wieder, wir wolien geniigsam im Stall des Kapita- 
Jismus bescheidene Porlionen verlangen! — 

Aber nein! Ihr Weg ist nicht unser Weg. Diese Un- 
glucklichen schreckt der Burgerkrieg. Aber es gibt keine 
Revolution ohne Biirgerkrieg. Oder glauben sie etwa, 
dafi in den anderen, fortgeschritteneren Landern die Re- 
volution ohne Burgerkrieg verlaufen werde? Die Erfah- 
rung rTnnlands hat uns das Qegenieil gezeigt. Die 
Tausende fiisi'ierter finnlandischer Genossen liefern den 
bestenBeweis daflir, dak in den fortgeschritteneren kapi- 
talistischen Landern der Biirgerkrieg noch erbitterter, 
noch blutigei , noch grausamer sein wird. Man kann vor- 
126 



aussehen, da& in Deutschland zum Beispiel der Klassen- 
kampf aukerordentlich scharf sein wird. Schon jebt 
knallen bei dem leistesten Versuch der Emporung die 
deuischen O.ffiziere ihre Soldaten und Mairosen zu 
Hunderten nieder. Nur durdi den B'urgerkrieg und die 
eiserne Diktatur des Proletariats hindurch kann 
man zum Sozialismus gelangen, kann man die kommu- 
nisiische, gesellschafiliche Produkiion erreichen. 

Verteidigung des b'urgerlichen Siaates und kein 
Schritt vorwaris zum Kommunismus! — das ist das Pro- 
gramm der jehigen Sozialdemokratenl 

Sprengung des biirgerlichen Staaies, Arbeiterdikia- 
tur, Enieignung der Kapitalisten, Organisation der Pro- 
dukiion durch die Arbeiterklasse, der breite Weg zum 
Kommunismus — das ist das Programm der kommunisti- 
schen Partei. 

Wenn wir uns Kommunisten nennen, Ziehen wir nLcht 
nur den Trennungssirich zwischen uns und den Sozial- 
verraiern: den Menschewiki, den Sozialrevolutionaren, 
den Sdieidemannern und den ubrigen Agenien der Bour- 
geoisie.. Wir kehren zu der alien Benennung der revo- 
lutionaren Partei zuriick, an deren Spike Karl Marx ge- 
standen hat. Das war dieKommunisiischePar- 
t e i. Und als Evangelium der Revolution erscheint auch 
heute noch das von Marx und Engels verfa&te „Kom- 
munistische Manifes t". Der alie Engels pro^ 
testierte nodi anderihalb Jahre vor seinem Tode gegen 
den Namen „Sozialdemokrat". Ein ganz unpassender 
Name meinte er — fiir eine Partei, die den Kommunismus 
anstrebi, der ja lekien Endes jeden Siaat, darunter auck 
den demokratischen, verniditet. — Was haiten die groften 
Alien, die voller Hak gegen die biirgerliche Staaisma- 
schinerie waren gesagt, wenn man ihnen solche Sozial- 
demokraten gezeigt hatte wie Dan, Zeretelli oder Sdiei- 
demann? Sie haiten sie mit Verachtung gesiempelt, wie 

127 






sie sfeis jene „Demokraten" stempelten, die in den kri- 
iischen, schweren Augenblicken der Revolution den Re- 
volverlauf gegen die Arbeiterklasse richteten . . . 

Viele Hindernisse stehen im Wege. Und viel 
Unreehtes gibt es momentan in unseren eigenen 
Reihen, denn viel fremde Elemente sind zu uns gestoken, 
die fiir Geld kauflich sind und im Triiben zu fischen 
sudien. Die Arbeiterklasse ist jung und unerfahren. Und 
von alien Seiten ist die junge Sowjetrepublik von Feinden 
umgeben. Docii wir, Kommunisien, wissen wohl, dak 
die Arbeiterklasse an ihren eigenen Irrtiimern lernt. Wir 
wissen, daft sie ihre Reihen von alien Sclilacken, die sidi 
ihr beigemengt haben, saubernwird; wir wissen, daft der 
treue und ersehnte Verbundeie sich zu ihr gesellen wird: 
das internationale Proletariat! Und unsere Partei wird 
sich durch kein Altweibergeflenne und durch kein hyste- 
risches Geschrei irrefiihren lassen. Denn sie hat auf ihi 
Banner die goldenen Worte gesebt, die Marx im „Kom- 
munistischen Manifest" geschrieben hat: 

„Mbgen die herrsdiendenKiassen vor 
einer Kommunistischen Revolution zit- 
tern. Die Proletarier haben nichts in ihr 
zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben 
eineWelt zu gewinnen. Proletarier aller 
Lander, vereinigt Euch!" 



Mai 1918.